Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
Schokolade und Kaffee.«
Alle möglichen und unmöglichen Antworten erwartete Barbara auf diese Schelte, doch stattdessen passierte etwas so Ungewöhnliches, dass sie sich eine Minute später fragte, ob diese Begegnung nicht eine eingebildete Erscheinung gewesen war. Bernhard nämlich sank wie ein Ritter auf die Knie, fasste die rechte Hand und hauchte wie ein galanter Kavalier einen Kuss auf ihre Finger. Dies geschah so unvermittelt, mit einer solch geschmeidigen Schnelligkeit, dass sie vor Überraschung einen leisen Schrei ausstieß. Und bevor sie richtig begriff, was gerade geschehen war, hatte Bernhard sich schon wieder erhoben und eilte davon. »Auf ewig zu Diensten, schöne Frau!«, hörte sie ihn noch rufen. »Besuchen Sie uns nach der Lese! Wir werden uns gewiss einigen!«
Ewas verloren kam Barbara sich nach diesem seltsamen Auftritt vor. Aber allmählich wurde sie immer vergnügter und schlenderte schließlich in Richtung ihrer verwahrlosten Reben. Aufregender als sie es sich ausgemalt hatte, würden die anstehenden Rebarbeiten nach dieser Begegnung werden. Und das eheliche Malheur, das sie heute Mittag in melancholische Grübelei geworfen hatte, kam ihr jetzt schlicht lächerlich vor.
»Er gefällt dir«, flüsterte sie leise vor sich hin. »Dieser frisch gestutzte Braunschopf hat es dir angetan, weißt du das?«
Dann begann sie zu kichern. Dass es vorhin so ausgesehen habe, als hätte sie auf die Eiche klettern wollen, wirkte beruhigend. Doch gleichzeitig zauberte es etwas von der gewagten Szene zurück, die sie vorhin am Stamm gespielt hatte. Sie wandte sich noch einmal um, musterte die Eiche aus der Entfernung und dankte ihr schelmisch mit einem Hofknicks.
»Mon chevalier de chêne: Mein Kompliment. Ihr seid ein echter Ritter. Aber Ihr bekommt Konkurrenz!«
Gespielt verdrehte sie die Augen, seufzte einmal laut auf und küsste die Luft.
9
Das Schnitzersche Haus? Das dritte an der Hauptstraße vom Abzweig nach Bischoffingen gezählt, gegen den Westen zu. Das zweigeschossige mit dem schwarzen Ständerwerk, der Holzlaube im Dachstock und den rotbraunen Fensterläden.
Ihr Hochzeitspriester, dem Barbara diese genaue Beschreibung verdankte, drehte sich noch zweimal um und winkte in die entsprechende Richtung. Zufällig war sie dem hageren Diener des Herrn begegnet, der gerade etwas unsicher seinen Weg ging – doch dies nicht, weil er zuviel vom Messwein getrunken hatte, sondern mit größtem Eifer auf einer Maultrommel spielte. Eigentlich hatte Barbara gar nicht vorgehabt, die Schnitzers zu besuchen, aber jetzt musste sie sich wohl den Ruck geben, sonst käme sie gleich ins Gerede. Denn wenn ein Priester schon Maultrommel spielte, würde er auch nicht mit der Neuigkeit hinter dem Berg halten, dass wieder einmal ein Weib nach den Schnitzers gefragt habe. Diesmal sogar eine von Stand, der er – schließlich habe ein Priester dank seines Amtes fast unendliche Menschenkenntnis – schon an der Nasenspitze angesehen habe, dass sie von complicationes in rebus amoris bedrückt sei. Solches und Ähnliches bildete sich Barbara für den Rest des Weges ein, bis sie mit gerümpfter Nase hinter einem Sauhirten einherstakste, der eine Herde von drei Dutzend Schweinen über die neuinstandgesetzte Krottenbach-Brücke prügelte.
Es sollte also wohl so sein. Abgesehen davon, dass sie nun bestimmt nicht mehr den Duft einer gutgestellten Kaufmannsfrau ins Haus trug, war diese dritte Oktoberwoche recht günstig. Und weil es bereits nach vier war, hatte sie die besten Gründe, wegen der einbrechenden Dunkelheit bald wieder aufzubrechen.
Die Haustür der Schnitzers lag auf den Hof zu, eingefasst von einem halbrunden, fünfstufigen Treppenaufgang. Der Dachtrauf stand, um vor Regen zu schützen, ausreichend über, und Barbara zählte zwei Schwalben- und zwei Wespennester, bevor Jenne öffnete. Zuerst bekam sie einen Schreck, wie sie in das von den Pocken verunstaltete Gesicht der Magd blickte, doch in der nächsten Sekunde spürte sie schon die Pfoten eines verspielten jungen Hundes an sich, der hinter Jenne hervorgeschossen war.
»Er tut zwar nichts, aber dass er Euch als erstes begrüßt, ist nicht recht«, sagte Jenne. »Madame van Bergen müsst Ihr sein, so schön wie Ihr seid. Ich wenigstens denk’s mir dahin, weil unser Bernhard nicht oft ins Schwärmen kommt.«
»Da übertreibt er bestimmt«, sagte Barbara und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. »Darf ich denn hereinkommen? Oder kommt mein Besuch ungelegen
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