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Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Blutholz: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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zu, dass sie sich eine andere Stadt gewählt hätte, denn so großartig sie anzuschauen sei, ihr fehle doch auf längere Zeit die heimische Wärme und das Gebirgige – etwas, dass auch bei ihrem Mann mit seinem urgroßväterlichen Schwarzwälder Blut wieder durchgeschlagen sei. Während sie so erzählte, nötigte Maria sie, nur ja kräftig zuzulangen und Barbara erfüllte dieses Anerbieten auch gerne, denn zum regte der Most ihren Appetit immer aufs Neue an und zum anderen fühlte sie sich auf ihrem Kanapee wohlig geborgen. Nicht minder genoss Maria die unverkrampfte Plauderatmosphäre und wunderte sich, wie sehr diese Barbara van Bergen eine lang entbehrte Vertrautheit in ihr weckte.
    Beide spürten, je dunkler es in der Stube wurde und je mehr Momente des Schweigens in ihre Unterhaltung fielen, dass dem eigenen Temperament eine verwandte Natur gegenübersaß. In der Wertschätzung des Gellertschen Romans waren sie sich beide einig, bloß dass Maria seufzend anmerkte: Im wirklichen Leben gehe es leider nicht romanhaft zu, was kein Vorwurf an den Gellert sein solle. Nur um einen Vergleich zu ziehen: Sie dürfe wohl kaum die Hoffnung haben, dass ihr erster spurlos verschwundener Mann wieder lebendig vor ihr stehen werde. Und nach dem Tod ihres zweiten Mannes habe sie den jetzigen aus nackter Not heraus heiraten müssen. Im Gellert sei es doch zu wunderbar, dass der längst tot geglaubte Graf aus der sibirischen Verbannung seine Gräfin wiedergefunden habe. Und dass diese, nach ihrer Flucht ins Holländische, den Herrn R. geehelicht habe, sei ohne Not aus freien Stücken geschehen und sicher nur zu dem Zweck erfunden, um zu verkünden, dass man sich heute endlich auch über die Standesgrenzen hinweg heiraten solle.
    Barbara stimmte Maria zu, gab aber zu bedenken, dass die traurige Geschichte der Kinder ein gewisses Gegengewicht dazu bildete. Was sich bei den Eltern noch glücklich gefügt habe, sei bei ihnen ins Katastrophische gewendet.
    »Elternglück heißt nicht gleichzeitig Kinderglück«, sagte Barbara seufzend. »Ich darf dies ungefährlich behaupten. Denn ich darf es Ihnen gleich heute gestehen: Vater und Mutter habe ich nur als schwarzgewandete Nonnen gehabt, und sämtliche andere Verwandten waren und sind ebenfalls allein nur die Breisacher Schulschwestern.«
    Maria schwieg, erhob sich und holte zwei Öllichter. Ob sie fragen dürfe, wie alt sie sei, flüsterte sie und schaute Barbara traurig an. Im Schein des Lichts sah Barbara, dass die anfangs so unbeschwert wirkende Frau jetzt müde in ihren Armlehnstuhl sackte.
    Achtzehn sei sie im August geworden, antwortete sie genauso leise, gab sich dann aber nicht der eingetrübten Stimmung hin, sondern sagte so unbekümmert wie es ihr möglich war: »Vielleicht bin ich ungerecht. Denn es geht mir ja sehr gut jetzt. Mein Holländer«, scherzte sie, »ist sehr großzügig und seine Brust zum Anlehnen breit genug.«
    »Dann dürfen Sie sich nicht beklagen«, antwortete Maria und versuchte zu lächeln. »Ich hör’ aber endlich meinen Jacob heranpoltern. Den Bernhard wird es noch in die Spinnstube gezogen haben. Da geht nach der Arbeit das Poussieren los. Und er ist gern Hahn im Korb.«
    Barbara nutzte die Unterbrechung, um sich zu verabschieden. Maria solle ihrem Mann Grüße ausrichten und selbstverständlich hoffe sie auf einen Gegenbesuch.
    Auf dem Flur aber lief sie Jacob geradewegs in die Arme. Der starrte Barbara verdutzt an und machte eine linkische Verbeugung, als Maria sie vorstellte. Sie bitte um Entschuldigung, hier so hereingeplatzt zu sein, sagte Barbara schnell und lud auch Jacob ein. Dieser bedankte sich hölzern und wünschte viel Erfolg bei ihrem Weinbauvorhaben, wenn es wahr sei, was sein Sohn ihm angedeutet hätte. Dann reichte er ihr die Hand und schlurfte in das obere Stockwerk.
    10
    Barbara war Maria gegenüber ehrlich gewesen. Die in Amsterdam überall anzutreffende Geschäftigkeit, die die schnurgeraden Grachten in die entferntesten Winkel trug, war beeindruckend, genauso die Pracht von Fassaden und Kunstschätzen. Aber die selbstbewusste Art der Bürger, ihre großzügige, doch immer überlegene Höflichkeit, der Stolz selbst kleinster Handwerker oder Gewerbetreibender hatten sie verunsichert.
    Wie wenig ihre Erziehung auf den Umgang in einer freieren Welt angelegt war, wie beschränkt das Kaiserstühler Umfeld im Vergleich zur Lebensart der Holländer wirkte: All dies führte dazu, dass Barbara sich bald in die bäuerische und

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