Blutige Asche Roman
welches Datum wir heute haben?«
»Natürlich.«
»Nennen Sie es mir?«
»Heute ist der 1. Juni 2007.« Ich sah auf meine Uhr. »Es ist drei Uhr nachmittags, genauer gesagt, zwei Minuten und dreiundzwanzig Sekunden nach drei. Wollen Sie sonst noch etwas wissen?«
»Sie sind sehr genau.«
Ich nickte.
Er machte sich wieder eine Notiz. Sein Gekritzel war nicht zu entziffern. Bereits das machte mir Sorgen.
»Haben Sie selbst noch Fragen?«
Ich war einen Moment verblüfft. Darauf, dass ich auch Fragen stellen durfte, war ich noch gar nicht gekommen. Nachdem ich mich an die Idee gewöhnt hatte, fiel mir nur eine Frage ein. »Ist es erlaubt, Fische zu halten? Ich habe nämlich ein Salzwasseraquarium.«
»Wir werden sehen. Sorgen Sie gern für Tiere? Sind Sie ein fürsorglicher Mensch?«
»Ja.«
»Sorgen Sie auch gut für Menschen?«
Das war eine gefährliche Frage. Eine Frage, die mir die Leute im Pieter-Baan-Centrum auch so ähnlich gestellt hatten. Auf den ersten Blick wie nebenbei, aber dann zogen sie aus der Antwort alle möglichen schrecklichen Schlüsse. Ich beschloss, nicht darauf zu reagieren, und konzentrierte mich auf die Hornbrille.
»Für wen haben Sie bereits gesorgt?«, versuchte es der Arzt erneut.
»Das weiß ich nicht.«
Dr. Römermann verschränkte die Arme und lehnte sich zurück. »Eben. Wissen Sie es nicht, oder wollen Sie die Frage lieber nicht beantworten?«
»Alles, was ich will, ist mein Aquarium. Oder so schnell wie möglich hier raus.«
»Natürlich wollen Sie in Ihr normales Leben zurückkehren. Und das ist sicher auch möglich. Doch vorher muss noch das ein oder andere passieren.«
»Das ein oder andere?«
»Zunächst einmal bin ich auf Ihre volle Unterstützung angewiesen. Wenn ich Ihnen also eine Frage stelle, sollten Sie versuchen, sie zu beantworten.«
»Ich habe schon tausend Mal dieselben Fragen beantwortet, schon tausend Mal gesagt, dass es nicht meine Schuld ist, dass Rosita und Anna tot sind. Mit dem Ergebnis, dass ich schon ewig im Gefängnis sitze.«
»Meneer Boelens, ich bin nicht hier, um über Sie zu richten. Wir können uns bis in alle Ewigkeit über Ihre Schuld oder Unschuld unterhalten. Trotzdem wissen wir doch beide, dass mit Ihnen irgendwas nicht stimmt.«
Ich schüttelte den Kopf. Wenn ich seit dem Mord an Anna und Rosita versucht habe, eines klarzustellen, dann, dass ich normal bin. Normal genug, zumindest. »Mit mir ist alles in Ordnung! Wann begreift ihr das endlich!« Ich schlug auf den Tisch. Dr. Römermanns Hornbrille hüpfte kurz hoch.
Der Arzt selbst verzog keine Miene. »Noch einmal, wir sind hier keine Polizeibeamten. Es ist nicht unsere Aufgabe, die polizeiliche oder richterliche Arbeit zu hinterfragen. Ob Sie schuldig sind oder nicht, tut hier also nichts zur Sache. Ich kann Ihnen allerdings jetzt schon sagen, dass es nicht vernünftig ist, das Verbrechen weiterhin zu leugnen. Das könnte Ihren Aufenthalt hier beträchtlich verlängern.«
Ich versuchte zu begreifen, was er da gesagt hatte.
»Wenn Sie von Ihrer Unschuld überzeugt sind, können Sie natürlich beim Obersten Gerichtshof eine Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen. Sollte es begründete Zweifel geben, wird man das sicherlich bewilligen. Aber auch in diesem Fall ist eine einwandfreie Führung zu empfehlen. Das bedeutet zu den Therapiestunden gehen, Medikamente einnehmen und keine Wutanfälle, weder verbale noch nonverbale. Und das gilt auch für unsere Gespräche. Sie wollen doch nicht, dass ich einen negativen Bericht über Sie schreibe.«
Ich musste bei etwas mitmachen, mit dem ich nicht einverstanden
war. Aber wenn ich mich weigerte, würde alles nur noch schlimmer. Es war immer dasselbe.
»In zwei Jahren gibt es ein erstes Gutachten. Wenn mit Ihnen tatsächlich alles in Ordnung ist, wie Sie behaupten, dürfen Sie die Klinik verlassen.«
Zwei Jahre sind eine lange Zeit. Aber nicht so lange wie acht Jahre Gefängnis. »Was muss ich tun, um hier rauszukommen?«
»Sich an die Regeln halten. Fangen Sie damit an.«
Das konnte ich gut. Sehr gut sogar. »Und sonst?«
Dr. Römermann dachte kurz nach. »Sie schreiben gerne Briefe, stimmt’s? Soweit ich weiß, können Sie das ausgezeichnet. Mein erster Auftrag lautet, Ihrer Nachbarin …«, er raschelte mit seinen Unterlagen, »… Rosita einen Brief zu schreiben.«
»Sie ist tot. Warum sollte ich einer Toten schreiben?«
»Stellen Sie sich vor, Sie schicken einen Brief in den Himmel.«
»Aber was soll ich da
Weitere Kostenlose Bücher