Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Blutige Asche Roman

Titel: Blutige Asche Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Pauw
Vom Netzwerk:
Glasscheibe konnte es schon mal passieren, dass eine couronne beinahe 600 Gramm wog, weil meine Hände beim Abwiegen der Zutaten zu sehr gezittert hatten. Oder dass ich die canelés anbrennen ließ. Das fand ich schlimm. Bis ich Rosita kennenlernte. Von diesem Moment an behielt ich die Glasscheibe immer im Auge, damit ich keine Minute verpasste, die sie im Laden war. Bis auch ich mich an die neugierigen Blicke gewöhnte und alles wieder sein gewohntes Gewicht bekam.
     
    Ich hatte nie viel Kontakt zu den anderen Einwohnern des Viertels. Ich wusste nicht, was ich mit ihnen reden sollte. Sie grüßten mich manchmal auf der Straße, und dann grüßte ich zurück. Dabei beließ ich es. Ich war auch so beschäftigt genug. Die Backstube. Meine Fische. Essen. Schlafen. Duschen. Putzen. Waschen. Bügeln. Einkaufen. Atmen.
    An dem Tag, als Rosita neben mir einzog, schien die Sonne. Es war ein warmer Tag, Rosita hatte nur wenig an. Eine sehr kurze Hose und ein Hemdchen. Ich glaube, sie trug keinen BH. Sie kam in einem alten Transporter angefahren, mit einem Kind in einem ausgeblichenen blauen Kindersitz und mit einem Mann, dessen Haare vorne kurz und hinten lang waren. Gemeinsam schleppten sie einige Möbel ins Haus. Eine braune Couchgarnitur. Einen Tisch und zwei Stühle. Das größte Doppelbett, das ich je gesehen habe.
    Der Mann sah müde und alt aus. Noch älter als die Matratze und die Couchgarnitur aus braunem Leder. Keuchend trug er das kärgliche Mobiliar ins Haus. Rosita dagegen lachte viel. Obwohl der Schweiß unter ihren dunklen Locken
heraus in ihr Hemdchen lief und ihr Rücken ganz nassgeschwitzt war.
    Ich merkte gleich, dass sie die schönste Frau war, die ich je gesehen hatte. Schöner als die Frauen im Fernsehen und deutlich schöner als die anderen Frauen in der Straße. Die hatten alle gelbe Zähne und trugen ebenfalls keinen BH. Ihre Dinger waren allerdings längst nicht so gut in Form wie die von Rosita. Außerdem hörte ich die Frauen auf der Straße oft schreien. Sie schrien ihre Männer an. Ihre Kinder. Die vielen frei umherlaufenden Hunde, die in ihre Vorgärten kackten und einen Gestank produzierten, von dem einem schlecht wurde, und der vor allem im Frühling ständig in der Koningin Wilhelminastraat hing. Leute, die schreien, mag ich nicht.
    Außerdem ärgerte ich mich maßlos über die ungepflegten Vorgärten. Ab und an machte ich nachts, bevor ich zur Arbeit ging, eine Runde mit der Heckenschere. An die Vorgärten selbst kam ich nicht heran, aber zumindest die Hecken in der Koningin Wilhelminastraat waren gerade.
     
    Den alten Mann mit der komischen Frisur sah ich zu meiner großen Erleichterung nicht mehr sehr oft, Rosita dagegen regelmäßig. Ich sah ihr gerne nach, hinter den dunkelroten Vorhängen, die meine Mutter für mich ausgesucht hatte. Sobald ich von der Arbeit nach Hause kam, und das war meist gegen drei Uhr nachmittags, setzte ich mich auf einen Stuhl ans Küchenfenster und schaute nach draußen, in der Hoffnung, sie zu sehen.
    Wenn es nicht regnete, kam sie meist aus dem Haus, um mit dem Kinderwagen rauszugehen. Von meinem Platz aus konnte ich ihr die ganze Straße lang nachschauen, bis sie um die Ecke in die Prinses Beatrixstraat bog.

    Allein wie sie ging - mit hoch erhobenem Haupt -, und dann diese Absätze, die bei jedem ihrer Schritte laut auf dem Asphalt klapperten. Ihre Hüften, die sich in einem lautlosen Rhythmus hin- und herwiegten. Ich hab einmal laut mitgezählt: eins, zwei, drei, vier. Eins, zwei, drei, vier. Sie kam nie aus dem Takt, nicht einmal den Bruchteil einer Sekunde.
    Ab und zu blieb sie stehen und hielt ein Schwätzchen mit einer Nachbarin. Oder sie steckte dem Kind den Schnuller wieder in den Mund. Aber meist lief sie ohne Unterbrechungen die Straße entlang.
    Als ich sie das erste Mal um die Ecke biegen sah, bin ich sofort aus dem Haus gerannt, um mir das Namensschild anzusehen. »Rosita und Anna Angeli« stand darauf. Es war ein Schild aus braunem Naturstein, in den die Buchstaben eingraviert waren. Ich sagte mir ihren Namen bestimmt hundert Mal laut vor: Rosita, Rosita, Rosita. Er klang wie der Name einer herzhaften Brioche. Mit jungem Käse darin und provenzalischen Kräutern.
    Am liebsten mochte ich den Moment, wenn sie von ihrem Spaziergang zurückkehrte. Dann konnte ich ihr Gesicht sehen, obwohl ich die Kuhle an ihrem Hals, zwischen den beiden Schlüsselbeinen, vielleicht sogar noch schöner fand.
    Manchmal winkte sie mir sogar zu. Dann versteckte ich

Weitere Kostenlose Bücher