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Blutige Asche Roman

Titel: Blutige Asche Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Pauw
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Mit dem Ergebnis, dass er auf einen beliebigen Fisch zeigen und mit verzücktem Gesicht sagen konnte, »Guck mal ein Segelflossen-Schleimfisch.« Oder: »Ein Doktorfisch.«
     
    Im Garten hinter dem Haus meiner Mutter formulierte ich einen Vorschlag für Kim de Boers Anwalt. Darin machte
ich ihm unmissverständlich klar, dass Mejuffrouw de Boer vollständig über die Art ihres Jobs informiert gewesen und meinem Mandanten deshalb nichts vorzuwerfen sei. Ich hatte in der Rechtsprechung nach einem vergleichbaren Fall gesucht. Und sei es nur der einer Pornodarstellerin, die ihre Rolle bereute. Oder der eines Sklaven, der seine Herrin verklagte. Doch meine Suche war ergebnislos geblieben.
    Die Bilder der Hardcore-Action in Pissing Peter hatten mich schockiert. Ich hatte mir den Film nur flüchtig angesehen und dann versucht, diese Bilder so schnell wie möglich wieder zu verdrängen. Zumal auf den Aufnahmen deutlich zu sehen war, dass die »junge Frau« völlig neben sich stand und am Ende nur noch apathisch war. Aber Vertrag ist Vertrag, auch wenn ihn van Benschop noch nicht vorlegen konnte. Ich konzentrierte mich auf wunderbare juristisch wasserdichte Hauptsätze.
    Als ich den letzten Absatz formulierte, in dem ich den Anwalt aufforderte, einem Vergleich zuzustimmen, hörte ich Aron rufen:
    »Mama! Mama!«
    Da wurde mir klar, dass ich nicht mehr auf ihn geachtet hatte und er unbemerkt ins Haus gegangen war. Seine Stimme lang alarmierend. Ich rannte hinein und machte mich auf eine umgeworfene Vitrine oder einen Riesenfleck auf dem Teppich gefasst, gegen den kein Putzmittel aus dem Flurschrank etwas ausrichten konnte. Aron stand vor dem Aquarium, wo sonst?
    »Was ist denn, mein Schatz?«
    »Kinkon ist tot. Kinkon ist to-hot.«
    King Kong war Arons Lieblingsfisch. Ein dunkelblauer Doktorfisch von beachtlicher Größe mit einer knallgelben
Schwanzflosse. Er lag auf der Seite und trieb an der Wasseroberfläche, das Maul weit aufgerissen, so als versuchte er noch ein letztes Mal nach Sauerstoff zu schnappen.
    Ein toter Fisch bedeutete Ärger. Das ganze Becken würde kontrolliert und gesäubert werden müssen. Meiner Mutter war dasselbe erst vor einem Monat passiert. Das war das einzige Mal gewesen, dass sie sich über das Aquarium beschwert hatte.
    »To-hot«, sagte Aron erneut.
    »Ich weiß, mein Schatz. Das ist wirklich traurig.«
    »Ich will Kinkon anfassen.«
    »Lieber nicht.« Ich beschloss, den Aquarium-Handlanger Maurice anzurufen. Maurice war ein waschechter Meeresaquarianer, so heißen die. Ich hatte ihn zweimal gesehen, als ich meine Mutter besuchte. Kein sehr geselliger Typ, aber er würde wissen, was zu tun war. Nicht umsonst stand seine Telefonnummer mit wasserfestem Filzstift auf einem Stück Klebeband oben am Aquarium.
    Bei Maurice ging der Anrufbeantworter dran. Ich versuchte meine Mutter anzurufen, aber auch sie war nicht erreichbar. Jedes Jahr fuhr sie mit einer Freundin für zwei Wochen in einen slowenischen Kurort, wo man ihre Därme reinigte, ihre Mitesser ausdrückte, ihr die Brauen zupfte und sie jeden Tag einen Kilometer schwimmen musste. Ich stellte mir eine gestrenge osteuropäische Bademeisterin vor, die mit einer Stange am Beckenrand stand und schrie, meine Mutter solle durchhalten. Meine Mutter hasste den Kurort, fuhr aber jedes Jahr wieder hin.
    Ich musste mir also wohl oder übel selbst etwas einfallen lassen. Ich hob den bleischweren Aquariumdeckel etwas an und fischte King Kong mit einem Netz aus dem Wasser. Tote
Fische darf man nie im Becken lassen, so schlau war ich auch. Er sah ein wenig fleckig aus und wirkte auch weniger dunkelblau als sonst.
    »Haben!«, kreischte Aron. »Ich will ihn haben!«
    »Fische sind nicht zum Anfassen da, Schatz. Und erst recht nicht, wenn sie tot sind.«
    Ich ging mit King Kong in die Küche, wickelte ihn in Küchenpapier mit fröhlichem Miezenmotiv und legte das Päckchen in den Kühlschrank. Der Fisch, der zuletzt gestorben war, Hannibal, war von meiner Mutter an die veterinärmedizinische Fakultät Utrecht geschickt worden. Ich konnte mich nicht mehr erinnern, was dabei herausgekommen war, aber bestimmt musste man King Kong auch untersuchen.
    »Gucken! Ich will gucken!«
    »Er liegt im Kühlschrank, Aron«, sagte ich. »Wollen wir zusammen ein Puzzle machen?«
    »Ich will Kinkon!«
    »Weißt du noch, das tolle Haipuzzle? Das mit dem großen gefährlichen Hai, der sein Maul so weit aufgerissen hat, dass man sämtliche Zähne sehen kann?«
    »Kinkon.«

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