Blutige Asche Roman
mich hinter dem Vorhang. Allein die Vorstellung zurückzuwinken, machte mich nervös. Geschweige denn, dass ich es über mich gebracht hätte.
9
Meine Mutter wohnte immer noch in dem Haus, in dem ich geboren wurde, ein Bungalow, ganz hübsch eigentlich, mit Garten in Amsterdam-Buitenveldert. Mein Vater war vor zehn Jahren gestorben, kurz nach seiner Pensionierung. Er hatte sich auf die Reisen gefreut, die er mit meiner Mutter machen würde, auf die Stunden, die er mit Gartenarbeit und lesen verbringen würde. Er hatte Anna Karenina nicht einmal zur Hälfte durch, als er zusammenbrach. Zwei Tage später war er tot. Ein Herzinfarkt.
Meine Mutter wollte, dass ich in ihrem Haus wohnte, wenn sie verreiste. Jetzt, wo ich ein paar Tage mit Aron zu Hause bleiben musste und das Wetter schön war, fand ich das gar nicht so schlimm. Ich selbst hatte eine viereckige, zehn Quadratmeter große Dachterrasse. Das ist zu wenig, um ein knapp vierjähriges Kind zu beschäftigen. Im Garten meiner Mutter konnte ich ein aufblasbares Schwimmbecken aufstellen. Aron würde darin mit seiner Sammlung aus Plastikwalen wunderbar planschen, während ich vorhatte, unter einem Sonnenschirm ein bisschen zu arbeiten. Der Garten war prima, aber das Haus ging mir ziemlich auf die Nerven. Meine Mutter war unglaublich pingelig mit ihren Sachen. So zwang sie mich, eine große Decke übers Sofa zu werfen, wenn Aron da war. »Ich kaufe ausschließlich Qualitätsprodukte«, sagte sie. »Wenn man die Sachen pflegt, halten sie jahrelang.« Deshalb gab es für alles ein eigenes Reinigungsmittel
- Seifenflocken für den Küchenboden, Bohnerwachs für den hölzernen Esstisch, ein Putzmittel für die Swarovski-Sammlung, einen Reiniger für den Edelstahlherd, ein Imprägniermittel für die Sofagarnitur. Das Arsenal von Putzmitteln füllte den ganzen Flurschrank. »Zum Glück« hatte mir meine Mutter eine fünf DIN-A-4-Seiten lange Anleitung hinterlegt, damit ihr kostbarer Besitz die Behandlung bekam, die er verdiente.
Bei schönem Wetter machte der Garten diese Nachteile wieder wett. Außerdem war Aron ganz wild auf das Aquarium. Dieses blöde Riesenaquarium, das eines Tages ohne Vorwarnung im Wohnzimmer des Bungalows aufgetaucht war. Ein paar Jahre war das jetzt her. Aron war damals noch nicht auf der Welt, ich hatte gerade erst fertig studiert und glaubte, eine vielversprechende Zukunft vor mir zu haben.
»Ich wusste gar nicht, dass du Fische magst«, hatte ich zu meiner Mutter gesagt.
»Es gibt so einiges, das du nicht weißt«, hatte sie geantwortet.
Es war kein normales Aquarium, sondern ein Salzwasserbecken mit so vielen Apparaten wie auf einer Intensivstation. Das empfindliche Ökosystem aus Korallen, Tropenfischen und Seeanemonen musste ständig dieselbe Temperatur haben. Ganz zu schweigen von der Aufrechterhaltung des Salzgehalts, des pH-Werts des Wassers, vom wöchentlichen Wasseraustausch und den Spezialvitaminen, die zugesetzt werden mussten. Natürlich hatte meine Mutter einen Handlanger, der die meisten Arbeiten übernahm.
»Was hast du gegen einen hübschen Goldfisch in einer dekorativen Vase?«, hatte ich gefragt.
»Hör schon auf.«
»Oder gegen einen kleinen Hund. Leg dir doch so einen anhänglichen Dackel zu.«
»Und was ist mit dem ganzen Getue? Ich kann nach wie vor nicht verstehen, dass erwachsene Menschen »Brav, mein Schatz!« zu ihrem Hund sagen, wenn das Viech am helllichten Tag mitten auf der Straße einen Haufen macht. Nein danke!«
Ich wusste nicht recht, ob das Aquarium zu meiner Mutter passte oder nicht. Es wirkte unnötig kompliziert, passte aber vielleicht gerade deshalb zu ihrer stets funkelnden Swarovski-Sammlung und zur Arbeitsplatte aus Holz, die jeden Monat neu eingeölt werden musste.
Nach Arons Geburt erkannte ich die Vorteile dieses Riesentrumms. Wenn Aron gar nicht mehr aufhören konnte zu weinen, was ziemlich häufig vorkam, fuhr ich zum Haus meiner Mutter und setzte ihn in seinem Maxi-Cosi vor das Aquarium. Das beruhigte ihn. Noch immer war das Aquarium sein »Lieblingsspielzeug«, das ihm sogar noch besser gefiel als Tickle me Elmo und das Flugzeug von Playmobil, um nur ein paar Dinge aus der großen Spielzeugsammlung zu erwähnen, die meine Mutter angeschafft hatte. Er konnte das lebendige Bild aus flatternden Korallen und bunten Fischen stundenlang betrachten.
Als er drei wurde, hatte er von meiner Mutter ein Lexikon für Salzwasseraquarien bekommen. Seitdem musste ich ihm jeden Abend daraus vorlesen.
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