Blutige Asche Roman
Beglückt ging er an meiner Hand ins Wohnzimmer.
Ich musste mich mehr auf ihn konzentrieren. Eine Mutter aus der Krippe hatte mir mal gesagt, meine Probleme mit Aron kämen daher, dass ich zu viel gleichzeitig wollte. »Wenn du akzeptierst, dass du nichts anderes mehr tun kannst, als dich mit ihm zu beschäftigen - auch nicht Zeitung lesen, gar nichts -, wirst du sehen, dass es schon viel besser klappt.« Aber wer hat da schon Zeit für? Dieselbe Mutter hatte mir übrigens auch erzählt, dass sie ihren Sohn unter die kalte
Dusche stellt, wenn er einen Wutanfall bekommt. Sie schien direkt stolz darauf zu sein.
Trotzdem beschloss ich, ihren Rat, mich nur auf mein Kind zu konzentrieren, zu befolgen. Zumindest für die nächsten zwei Stunden. Der Fall van Benschop und der tote Fisch im Kühlschrank konnten warten.
Aron war ganz verrückt nach Puzzles und richtig gut darin. Wir machten das Haipuzzle, bei dem man immerhin fünfundsiebzig Teile nach seinen strikten Anweisungen in einer bestimmten Reihenfolge auslegen musste, schon zum dritten Mal, als das Telefon klingelte.
»Ja, ich bin beim Zelten«, sagte eine Männerstimme, ohne sich näher vorzustellen. Ich nahm an, dass es Maurice war.
»Das ist aber blöd«, sagte ich. »Was jetzt?«
»Was jetzt? Keine Ahnung. Ich habe Ihrer Mutter extra gesagt, dass ich ein paar Tage weg bin. Rufen Sie doch ein Aquariumgeschäft an.«
»Können Sie mir eines empfehlen?«
»Rufen Sie Zeewaterwereld van de Akker in Amersfoort an. Da kommt das Aquarium schließlich her.«
Meneer van de Akker wirkte sehr hilfsbereit. Er bot sofort an, nach Ladenschluss vorbeizukommen.
»Den weiten Weg aus Amersfoort?«
»Salzwasseraquarien sind eine ernste Angelegenheit. Können Sie das Logbuch bereitlegen?«
»Das Logbuch?«
»Falls es noch geführt wird.«
»Ich werde danach suchen.«
Ich rief noch mal meine Mutter an, um zu fragen, wo das Logbuch lag. Diesmal ging sie dran. Nachdem sie sich gemeldet hatte, hörte ich ein lautes Knacken.
»Mama?«, fragte ich vorsichtig. »Hörst du mich? Kannst du mir sagen, wo das Aquariumlogbuch ist?«
Meine Mutter sagte etwas, doch wegen des Lärms konnte ich kein Wort verstehen.
»Mama?« Ein lautes Brummen ertönte, dann wurde die Verbindung unterbrochen. Ich versuchte sie erneut zu erreichen, aber es ging nur die Mailbox dran.
Ich würde das Logbuch suchen müssen.
Abgesehen von ihrer Angst vor hartnäckigen Flecken, Sprüngen, Dellen und Kratzern hasste meine Mutter nichts mehr, als dass man an ihre Sachen ging. Solange ich mich erinnern konnte, besaß sie ein Arbeitszimmer. Ich hatte allerdings keine Ahnung, was sie darin arbeitete, denn es war stets abgeschlossen. Sogar mein Vater durfte es nicht betreten.
»Versteckst du eine Leiche darin oder so was?«
»Dann hättet ihr das längst gerochen.«
In einem unbeobachteten Moment - ich glaube, meine Mutter war gerade auf dem Klo - hatte ich als Kind meinen Kopf durch die Tür ihres Fort Knox gesteckt. Was ich zu sehen bekam, war eine Enttäuschung. Ein Schreibtisch, ein Stuhl und ein riesiger Schrank. In dem Schrank standen Ordner. Ich betrat das Zimmer und malte mir ihren Inhalt aus. Ich versuchte mir vorzustellen, meine Mutter sei der Kopf einer internationalen Bande, obwohl dieser Gedanke nur sehr schwer mit ihrem stets dauergewellten Haar und ihren ordentlich geputzten Schuhen in Einklang zu bringen war. Als mich meine Mutter dabei erwischte, war sie wütend geworden. Sie hatte mir sogar einen Klaps auf den Po gegeben.
»Was versteckst du denn in diesem Zimmer? Was ist so schlimm daran, wenn ein Kind hereinkommt?«, fragte mein Vater. Das war eines der seltenen Male, dass er meiner Mutter widersprach.
»Du hast deine Arbeit. Iris hat ihre Schule. Kannst du nicht verstehen, dass ich auch einen Ort brauche, der nur mir gehört?« Sie rannte auf ihr Zimmer, und wir hörten, wie sie von innen abschloss.
»Lass sie lieber in Ruhe«, sagte mein Vater. »Wir brechen mal nachts ein, wenn sie schläft.« Aber natürlich haben wir das nie getan.
Seit jenem Tag hatte ich meine Mutter genau beobachtet, konnte sie allerdings nicht bei verdächtigen Aktivitäten ertappen. Ich gab mich damit zufrieden, dass sie in dem Zimmer die Ablage machte oder stickte. Wenn ich mir ein aufregendes Leben wünschte, musste ich mich selbst darum kümmern.
Es erschien mir logisch, dass die Sachen, die mit dem Aquarium zu tun hatten, in seiner Nähe aufbewahrt wurden. Ich öffnete das Schränkchen
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