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Blutige Asche Roman

Titel: Blutige Asche Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Pauw
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allem, wenn sie meine Mutter »Mama« nannte. Ich schaffte es nicht mehr, ihre Fragen zu beantworten. Mein Blick fiel auf einen Pholcus phalangioides , eine häufig vorkommende Zitterspinne, die die Wand entlangkrabbelte.
    »Soll ich ein andermal wiederkommen? Damit du das alles auf dich wirken lassen kannst?«

    Die Zitterspinne würde ein Netz an der Decke bauen. Dann würde sie warten, bis sich eine andere Spinne oder ein Insekt darin verfing, um es mit neuen Fäden einzuwickeln. Im Discovery Channel hatte ich das oft genug gesehen.
    »Ray?«, fragte Mo. »Iris hat dich was gefragt.«
    »Tut mir leid.« Iris Kastelein, die behauptete, meine Schwester zu sein, starrte mich nur an, und zwar mit dem Gesicht meiner Mutter. Angst machte mir das nicht, aber ich wurde davon nervös.
    »Ich bin müde. Ich will wieder auf mein Zimmer.« Ich stand auf.
    »Warte.« Sie wühlte in ihrer Tasche und holte einen Stapel Fotos hervor. »Ich hab dir was mitgebracht.«
    »Sie dürfen hier nicht einfach etwas übergeben«, sagte der Wachmann. »Geben Sie mir die Fotos, wir kümmern uns darum, dass der Bewohner sie bekommt.«
    »Oh.«
    »Tut mir leid«, sagte Mo. »Das sind nun mal die Regeln. Viele Patienten hier haben Drogenprobleme.«
    »Verstehe.« Sie wandte sich an mich. »Ich habe Fotos von deinem Aquarium gemacht, Ray. Ich dachte, das könnte dir gefallen.«
    King Kong, Hannibal, Saturn und Maria. Peanut und François! Ich setzte mich wieder.
    »Deinem Aquarium geht es gut. Mama hat einen Helfer, Maurice, der sich jede Woche darum kümmert. Die Koralle ist ziemlich gewachsen. Und Meneer van de Akker kam neulich auch vorbei.«
    »Van de Akker?«
    »Ja.« Sie machte ein Gesicht, das ich schwer einordnen konnte. War es Angst? Besorgnis? »Er meinte, das Aquarium
sei nicht mehr so prächtig wie damals, als du es hattest. Aber es ist immer noch sehr schön.«
    »Und die Fische. Erzähl.« Ich beugte mich vor, um ja nichts zu verpassen.
    »Was soll ich sagen? Saturn und Chili sind überwiegend in den Seeanemonen und …«
    »Ja?« Allein, ihre Namen aus fremdem Mund zu hören, machte mich glücklich.
    »Und Margje. Die schwimmt den ganzen Tag im Kreis. Hat sie das schon immer gemacht?«
    »Schon immer.«
    »Nun, sie tut es nach wie vor. Ab und zu hat sie Krach mit François. Wahrscheinlich überlappen sich ihre Reviere.«
    Ich schloss die Augen und hörte ihr zu. Ich fühlte mich wie damals, als ich klein war, und meine Mutter mir kurz vor dem Einschlafen etwas vorlas. Damals war noch alles in Ordnung.
     
    »… Aron, mein kleiner Sohn, ist ganz wild auf das Aquarium. Er ist jetzt fast vier und tut nichts lieber, als den ganzen Tag Fische gucken. Er kennt alle Arten auswendig. Am liebsten mag er Doktorfische.« Sie schwieg. »Du musst sie vermissen.«
    »Wen?«
    »Die Fische.«
    »Ich denke jeden Tag an sie. Jeden Tag sage ich ihre Namen auf.«
    »Sie denken bestimmt auch an dich.«
    »Fische denken nicht. Zumindest nicht so wie wir. Sie sind bestimmt nicht in der Lage, verschiedene Menschen zu unterscheiden, geschweige denn an sie zu denken.«

    »Das hat deine Schwester bestimmt nur nett gemeint«, sagte Mo. »Sie wollte damit sagen, dass du dich ausgezeichnet um deine Fische gekümmert hast und dich niemand ersetzen kann.«
    »Du nimmst es mit allem sehr genau, stimmt’s?«, sagte Iris Kastelein, die behauptete, meine Schwester zu sein.
    Aber ich sah in ihr keine Schwester. Für mich waren Schwestern immer kleine Mädchen wie Anna gewesen.
    Der Wachmann gab mir den Stapel Fotos. »Alles in Ordnung.«
    Ich nahm sie und drückte sie an meine Brust.
    »Willst du sie dir nicht gleich ansehen?«
    »Sobald ich allein bin.«
    »Kann ich sonst noch etwas für dich tun? Brauchst du irgendwas? Geld? Essen? Kleidung?«
    »Ich will einfach nur nach Hause. Zu meinen Fischen.«
    Sie guckte traurig. »Tut mir leid, aber da kann ich dir nicht helfen.«
    »Ich war es nicht. Sie halten mich die ganze Zeit gefangen. Obwohl ich unschuldig bin.«
    Sie schwieg eine Weile, während sie mich wieder so komisch ansah.
    »Ich könnte mir deinen Fall natürlich mal ansehen, wenn du das willst.«
    Ich verstand nicht, was sie damit meinte.
    »Ich bin Anwältin. Ich werde mir den Fall ansehen, vielleicht kann ich ja etwas für dich tun. Aber versprechen kann ich das natürlich nicht.«
    »Ich war’s nicht.« Mehr fiel mir nicht ein.
    »Nein?«
    »Nein. Ich war’s nicht.«

19
    Mo führte mich durch die Hopperklinik zurück zum Ausgang. Es war ein Labyrinth

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