Blutige Asche Roman
außen knusprig und innen weich und süß ist? Ein bisschen klebrig, aber trotzdem luftig?«
»So was verstehen Kinder nicht«, sagte Rosita jedes Mal.
Anna saß meist auf dem Sofa und sah fern. Ich hielt das für keine sehr geeignete Beschäftigung für ein Kind, und meine Mutter war derselben Ansicht. Deshalb hatte ich Anna eine große Schachtel mit Lego gekauft. Wenn ich sie besuchte, sagte ich: »Sollen wir gemeinsam etwas bauen?« Und dann bauten wir Paläste, Bauernhöfe, Schlösser und schicke Villen. Darin würden wir später einmal wohnen, sagte Anna, egal wie oft ich ihr erklärte, dass das nicht ging.
Rosita saß währenddessen auf dem Sofa. Manchmal sah sie
uns zu, manchmal sah sie fern und gelegentlich baute sie mit. Eines Tages sagte sie: »Du fragst nie, was mit mir los ist.«
»Ich wusste nicht, dass sich das so gehört«, erwiderte ich. »Entschuldige. Möchtest du das denn?«
»Ja. Das ist doch nur normal, oder? Normale Leute fragen, wie es einem geht.«
Diese Bemerkung verletzte mich. Ich hatte geglaubt, alles richtig zu machen. Ich kam jeden Tag vorbei, brachte immer etwas Leckeres mit, und in der Woche davor hatte ich ihren Garten gemacht.
»Das gefällt dir nicht, dass ich so was sage.«
»Nein.«
»Warum nicht? Jetzt sei doch mal ehrlich, du bist doch auch nicht ganz normal? So wie du immer nur allein zu Hause rumsitzt und deine Fische anstarrst? Oder jeden Nachmittag Punkt Viertel nach drei eine Madeleine vorbeibringst. Das ist doch nicht normal, oder?«
Ich zuckte die Achseln und musste meinen Blick von ihr abwenden.
»Hör endlich auf, mit deinen Händen rumzufuchteln. Du bist hier nicht in der Bäckerei!« Sie packte sie und legte sie auf meinen Schoß. Ihre Hände waren warm. Weich und warm.
»Oder deine Mutter zum Beispiel. Wo wir schon beim Thema sind: Es ist doch nicht normal, dass du sie kaum siehst oder sprichst. Warum eigentlich nicht?«
»Sie hat viel zu tun«, murmelte ich.
»Quatsch! Willst du mal meine Meinung hören? Ich finde, deine Mutter müsste stolz auf dich sein. Stattdessen steckt sie dich in ein Heim und lässt dich anschließend verkümmern. Weiß sie eigentlich, dass die Leute hier jeden Samstagmorgen Schlange stehen, um deine Croissants zu kaufen?«
»Ich glaube nicht.«
»Ich würde mich mit dieser Frau gern mal unterhalten, mit deiner Mutter. Hast du ihre Nummer?«
Ich traute mich kaum, es ihr zu sagen. »Nein.«
»Du hast die Nummer deiner eigenen Mutter nicht! Und warum nicht? Hat sie vielleicht kein Telefon?«
»Ich schreibe ihr. Und sie schreibt mir zurück. Sie schreibt immer zurück.«
»Schreiben. Was soll denn das? Ruft sie dich nie an?«
»Manchmal. Wenn sie zu einem anderen Zeitpunkt vorbeischaut, als unsere Abmachung es vorsieht.«
»Was soll denn das jetzt wieder heißen?«
»Unsere Abmachung: Sie kommt jeden dritten Samstag im Monat.«
Rosita verdrehte die Augen. »Verstehe. Gib mir ihren Namen und ihre Adresse, dann finden wir ihre Telefonnummer heraus. Die wird noch was erleben, die alte Hexe!« Sie sprach sehr laut, lauter als normal.
»Bist du wütend auf mich?«
Sie lachte. »Natürlich nicht, Dummerchen. Ich bin wütend auf deine Mutter. Wie kann sie dich nur so im Stich lassen?« Sie beugte sich zu mir. Die Kuhle zwischen ihren Schlüsselbeinen kam näher, so nahe, dass ich kaum noch Luft bekam, dann packte sie meine Hand. »Ray, sie ist deine Mutter. Stell dir vor, ich würde Anna ins Heim stecken. Wie fändest du das?«
Ich sah Anna an, die aufgehört hatte, Lego zu spielen, und fernsah. Sie schien unsere Anwesenheit kaum zu bemerken.
»Genau. So was macht man einfach nicht.«
Ich besaß nur die Postfachadresse meiner Mutter. Das machte Rosita noch wütender. Sie rief die Auskunft an, aber
es gab mehr als vierzig verschiedene Boelens in Amsterdam. »Du bittest sie um ihre Telefonnummer, verstanden? In deinem nächsten Brief. Und frag sie auch nach ihrer normalen Adresse. Ich bin neugierig, wie sie sich da rauswinden will.«
Natürlich wagte ich es nicht, meine Mutter darum zu bitten. Aber Rosita fragte immer wieder, ob ich es schon getan hätte.
Aber ich hatte gut zugehört. Als Rosita beim nächsten Mal die Hände vors Gesicht schlug, fragte ich: »Wie geht es dir?«
Sie hob ein wenig den Kopf und sah mich an, während ihr eine dunkle, gelockte Strähne in die Stirn fiel. Sie hatte die Hände immer noch vors Gesicht geschlagen. Ihre Augen waren rot, trotzdem brachte sie ein schwaches Lächeln zustande.
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