Blutige Asche Roman
unheimlich ähnlich.«
Ich spürte, wie ich wütend wurde. Jetzt brachte sie mich auch noch durcheinander. Was wollte sie von mir?
Sie setzte sich auf den Plastikstuhl gegenüber und sah mich an, wie mich der Psychiater in der Dwingelerheide auch manchmal angesehen hatte. So als könnte sie mir direkt ins
Gehirn schauen. Das gefiel mir ganz und gar nicht. »Du fragst dich bestimmt, wer ich bin und was ich hier will.« Sie hatte eine schöne, ruhige Stimme, das schon. Sie sprach wie eine Nachrichtenansagerin, ganz anders als die Leute in der Koningin Wilhelminastraat. Und erst recht anders als die Männer auf der Station. »Oder wusstest du bereits, dass es mich gibt? Hast du es die ganze Zeit gewusst?«
Ich sah ihr kurz ins Gesicht. Sie hatte dunkle Augenbrauen und schwarz getuschte Wimpern. Genau wie Rosita.
»Ich glaube, ich bin deine Schwester.« Ihre Stimme wurde brüchig.
Es dauerte einen Moment, bis ihre Worte zu mir durchdrangen. Das stimmte nicht. Das konnte nicht sein. Diese Frau war nicht ganz richtig im Kopf.
»Kannst du auch mal was sagen?«
»Ich habe keine Schwester. Außerdem kann ich nicht gut mit Frauen.«
Sie lachte, es klang allerdings mehr wie ein kurzes Schnauben. »Erzähl mal, wie heißt deine Mutter?«
»Ageeth Antonia Boelens«, sagte ich laut. Eher, weil mich Mo mit gerunzelter Stirn beobachtete, und nicht, weil ich der Frau, die behauptete, meine Schwester zu sein, einen Gefallen tun wollte.
»Ageeth Antonia Boelens ist auch meine Mutter. Ich bin 1973 geboren. Aber wo warst du damals?«
Es wurde mir zu viel. Meine Hände zuckten in alle Richtungen.
Sie hielt sie fest, genau wie Rosita früher.
Ich riss mich sofort wieder los.
»Tut mir leid«, sagte die Frau, die Iris Kastelein hieß und behauptete, meine Schwester zu sein. »Ganz ruhig. Willst du
ein Glas Wasser oder so? Geht das?«, fragte sie den Wachmann.
Nein, lautete die Antwort. Nicht zu Besuchszeiten.
Iris Kastelein, die behauptete, meine Schwester zu sein, sah mich an. Sie besaß Ähnlichkeit mit meiner Mutter, das schon. Ich wunderte mich, dass ich das nicht gleich gemerkt hatte. Hastig wandte ich den Blick ab.
»Du darfst mich ruhig ansehen. Ich verstehe, dass das alles sehr plötzlich für dich kommt. Und es tut mir leid, dass ich dich so überfalle. Aber …«
Ich sah ihr erneut ins Gesicht und merkte, dass ihre Augen feucht wurden. Warum weinte sie? Und was erwartete sie von mir?
»Was ist mit dir passiert, Ray? Wo hast du die ganze Zeit gesteckt?«
Ich zwang mich, meine Hände fallen zu lassen, und setzte mich darauf. Das half.
»Besser, Sie stellen ihm klar formulierte, konkrete Fragen«, sagte Mo aus seiner Ecke.
»Gut«, meinte Iris Kastelein, die behauptete, meine Schwester zu sein. »Bis wann hast du bei Mama gewohnt?« Sie sprach jetzt ganz langsam, als wäre ich verrückt, trotzdem beantwortete ich die Frage.
»Bis ich neun war.«
»Wo … hast … du … danach … gelebt?«
»Du kannst normal reden.«
»Tut mir leid, natürlich. Wo hast du danach gelebt?«
Es wurde mir alles zu viel. Dieses Weibsbild kam hier rein und stellte mir alle möglichen Fragen. Wer garantierte mir, dass sie tatsächlich meine Schwester war? Meine Mutter hatte nie von einem weiteren Kind gesprochen. Ganz zu schweigen von
einem niegelnagelneuen, besseren Kind, das meinen Platz eingenommen hatte. Und dann noch eine Frau, in einer ordentlichen Hose mit einem Jackett. Warum sollte meine Mutter noch ein Kind gewollt haben, wo sie mich doch weggegeben hatte?
»Ray fällt es schwer, Gefühle zu zeigen«, erklärte Mo. »Und was Sie hier sagen, ist wirklich ziemlich heftig.«
»Das verstehe ich. Darf ich noch kurz mit dir reden, Ray? Oder wird es dir zu viel?«
Ich schwieg.
»Wo warst du nach deinem neunten Lebensjahr? Nachdem du von Mama weg kamst?«
»In der Dwingelerheide.«
»Was ist das?«
»Ein Heim für Jungen.«
»Ray war in einem Heim für schwer erziehbare Kinder«, erklärte Mo. Ich bezweifelte stark, ob er derart vertrauliche Informationen über mich überhaupt weitergeben durfte. Zu wem hielt er eigentlich? Zu mir oder zu ihr?
»Merkwürdig«, sagte Iris Kastelein, die behauptete, meine Schwester zu sein, während ihre Augen immer noch feucht waren. »Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Unglaublich, dass Mama dich nie erwähnt hat. Wirklich unglaublich. Hat sie dich denn manchmal besucht, während du im Heim warst? Und hast du noch Kontakt zu ihr?«
Das Gespräch war ermüdend und verwirrend. Vor
Weitere Kostenlose Bücher