Blutige Asche Roman
der de Boer als Trumpf einsetzen.«
»Sie wird also wild rumheulen und so?«
»Das ist gut möglich. Man wird Dinge sagen, die in ihren Augen falsch sind. Man wird Forderungen stellen, mit denen Sie nicht einverstanden sein werden. Ich kann mir vorstellen, dass Sie dann Ihre Sicht der Dinge kundtun wollen. Trotzdem möchte ich Sie bitten, sich aus dieser Diskussion möglichst rauszuhalten. Sie reden nur, wenn ich Sie etwas frage. Haben Sie das verstanden?«
»Wieso darf ich nichts sagen? Das ist doch mein Fall?«
»Natürlich. Aber Sie haben mich als Anwältin eingeschaltet. Überlassen Sie die Arbeit lieber mir.«
»Aber ich kenne Kim.«
»Ist das nicht der eigentliche Grund für Ihre Probleme? Ich möchte auf meiner Bitte bestehen. Halten Sie sich möglichst im Hintergrund. Und sei es nur, damit Sie nichts sagen, was juristisch ungeschickt wäre.«
»Einverstanden.« Auf seinem Block notierte er demonstrativ MAUL HALTEN.
Ich konnte nicht anders, ich musste lachen. »Sind Sie ausreichend vorbereitet?«
»Ich hoffe, ja.«
Im Besprechungsraum saßen Kim de Boer, ihre Eltern und ihr Anwalt mit versteinerten Mienen. Das sah nicht gut für uns aus.
Ich stellte mich vor und fragte, ob sie die Kanzlei ohne Probleme gefunden hätten, was natürlich angesichts der zentralen Lage völliger Unsinn war.
»Ich stelle mich lieber nicht vor, was?«, sagte van Benschop.
»Leider wissen wir, wer Sie sind«, erwiderte die Mutter.
Ich hatte eine asoziale Familie erwartet. Nachlässige Eltern, die hauptsächlich trinken und erst dann aktiv werden, wenn es irgendwo was zu holen gibt. Aber die de Boers besaßen keinerlei Ähnlichkeit mit Alkoholikern und sahen in ihren sorgfältig gebügelten Kleidern wie ganz normale, recht solide Leute aus. Ich begriff, wie unangenehm ihnen die Situation sein musste.
Kim de Boer saß zwischen ihren Eltern, sie war ungeschminkt. Ihr Haar hing strähnig um ihr ovales Gesicht. Ich versuchte, den Ausdruck darauf zu deuten, aber ihr Gesicht war vollkommen leer. So als säße sie in einem Klassenzimmer und starrte aus dem Fenster, während der Lehrer gerade den Unterschied zwischen Subjekt und Objekt erklärt.
»Uns allen ist klar, warum wir hier sind«, eröffnete ich die Besprechung. »Mejuffrouw de Boer macht meinen Mandanten, Herrn van Benschop, aufgrund ihres Verdienstausfalls für finanzielle Schäden sowie für immaterielle Schäden haftbar.«
»Richtig«, sagte Adriaan de Leeuw, der Anwalt der Gegenseite. Ich war ihm schon mal auf einer Party der Vereinigung junger Anwälte begegnet, aber das war inzwischen Lichtjahre her.
»Sie haben meinem Mandanten ein Vergleichsangebot gemacht, wir haben darauf reagiert, und Sie wollen die Sache jetzt persönlich besprechen.«
»Auch das ist richtig«, sagte Kollege de Leeuw. »Wir sind nämlich der Auffassung, dass es bei diesem Fall um mehr geht als um Geld und juristische Termini. Wir möchten darüber reden, dass meine Mandantin« - er nickte Kim de Boer zu, als wüssten wir nicht, wer das sei - »ein für den Rest ihres Lebens traumatisiertes Mädchen ist.«
Kim de Boer starrte immer noch vor sich hin, mit demselben leeren Ausdruck im Gesicht.
»Sie haben den Gemütszustand Ihrer Mandantin in Ihrem Brief bereits ausgiebig dargelegt«, sagte ich trocken. »Würden Sie mir bitte mitteilen, wie Sie auf mein Vergleichsangebot reagieren?«
»Das lässt sich in wenigen Worten sagen. Wenn ich mir Ihren Vorschlag so ansehe, habe ich nicht den Eindruck, dass Sie den Ernst der Lage erfasst haben. Meine Mandantin ist emotional schwer geschädigt und wird jahrelang in Therapie gehen müssen.«
»Ihre Mandantin hat sich bewusst für diese Erfahrung entschieden. Ich möchte Sie daran erinnern, dass sie freiwillig Kontakt zu Herrn van Benschop aufgenommen hat, ausführlich über die Art der Filmproduktion informiert wurde und anschließend einen Vertrag unterschrieben hat.«
»Und wir haben alles ganz genau besprochen, stimmt’s, Kim? Wir haben danach sogar noch eine Cola zusammen getrunken.« Unter dem Tisch gab ich van Benschop einen heftigen Tritt.
»Es ist äußerst fraglich, ob man eine Minderjährige dafür verantwortlich machen kann«, sagte de Leeuw.
»Eine Minderjährige, die derart aufs Mitmachen versessen war, dass sie ihren Personalausweis gefälscht hat. Mein Mandant hatte keine Ahnung, wie alt sie wirklich ist. Das konnten Sie auch schon meinem Gegenvorschlag entnehmen.«
Mevrouw de Boer sah aus, als würde sie jeden Moment
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