Blutige Asche Roman
Wasser wiederkam, schnäuzte sich Asscher in ein hellblaues Taschentuch mit scharfen Bügelfalten. Ich staunte, weil das so altmodisch war. Ich kannte niemanden, der noch Stofftaschentücher verwendete, geschweige denn Lust hatte, die Dinger zu bügeln.
»Es tut mir leid«, sagte Asscher. »Ich bin es nicht gewohnt, darüber zu reden.«
»Das kann ich verstehen. Man muss sich sehr einsam fühlen, wenn man so ein Geheimnis mit sich herumträgt.«
»Das stimmt.« Seine Augen wurden wieder feucht. »Jetzt bitte nichts mehr sagen, auf das ich emotional reagiere, ja?«
»Dann halten wir uns an die Fakten. Sie wollten mir erzählen, warum Ihre Aussage nicht in die Akte aufgenommen wurde.«
»Anfangs wollte ich nicht zur Polizei gehen. Nicht um meinetwillen, sondern wegen meiner Frau Milly. Es würde ihr das Herz brechen, wenn sie wüsste, dass ich eine Geliebte und ein Kind gehabt habe.«
Ich brummte zustimmend. Lode hatte mal gesagt: »Ein Vertrauensverhältnis aufbauen, bedeutet hauptsächlich, im richtigen Moment das richtige Geräusch von sich zu geben.«
»Nach ein paar Wochen bekam ich Gewissensbisse«, fuhr Asscher fort. »Ich dachte: Was, wenn ich die entscheidende Information habe? Ich habe mich bei den Ermittlern gemeldet, aber sie machten keinen sehr interessierten Eindruck. Sie haben sich meine Geschichte angehört, und damit basta. Ich habe noch gefragt, ob ich was unterschreiben soll oder so, aber der Fall sei bereits aufgeklärt, sagten sie.«
Ich zog die Brauen hoch. »Aha.«
»Es war natürlich klar wie Kloßbrühe, dass es Boelens war. Der Typ ist gestört.«
»Er hat doch mal Ihre Autoreifen aufgestochen, stimmt’s?«
»Ich hab sie noch vor ihm gewarnt. Vor allem nach der Sache mit den Reifen. Wie ein Wilder hat sich der gebärdet … geradezu beängstigend. ›Der Typ ist total gefährlich‹, sagte ich zu ihr. ›Geh ihm aus dem Weg.‹ Aber von wegen! Sie behauptete, er sei ein Freund … ein Freund! Er ist nicht so wie wir, sagte sie immer, aber er hat ein gutes Herz. Das hat man dann ja gemerkt. Wissen Sie, wie oft auf Rosita eingestochen wurde? Einundzwanzig Mal.«
»Können Sie sich vorstellen, warum ihn Rosita als Freund bezeichnete?«
Er zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich, um mich eifersüchtig zu machen. Als ob ich auf jemanden wie Boelens eifersüchtig sein könnte! Ich sehe ihn noch von der Arbeit kommen,
mit so einem ekligen Gebäck für Anna. Jeden Tag brachte er so ein Teil vorbei, können Sie sich das vorstellen? Er hat auch manchmal auf Anna aufgepasst. Ich hielt das für keine gute Idee, aber Rosita meinte, das ginge schon in Ordnung. Im Nachhinein …« Er schnäuzte sich wieder die Nase.
»Lassen Sie sich ruhig Zeit.«
»Das hier fällt mir schwer.«
»Verständlich.«
»Meine Güte, normalerweise habe ich nicht so nah am Wasser gebaut.«
»Als Bilanzbuchhalter sind Ihre Gefühle weniger gefragt, nehme ich an.«
Er lachte.
»Hatte Rosita noch andere Feinde? Oder Schulden?«
Asscher dachte kurz nach und schüttelte den Kopf. »Sie war ganz schön hitzig, das schon. Manchmal ist sie richtig ausgeflippt. Aber Feinde? Nein.«
»Ich verstehe nicht, wie Sie das meinen. Was heißt das, ausgeflippt?«
Ein Zögern. »Einfach so. Mediterranes Temperament.«
»Ich hatte das Gefühl, dass Sie dabei etwas ganz Bestimmtes im Kopf hatten.«
»Nein, das stimmt nicht.«
»Fiel es Rosita bei ihrem Temperament nicht schwer, ständig die zweite Geige zu spielen? Im Hinblick auf Ihre Frau, meine ich.«
Hatte ich gerade noch Asschers Vertrauen genossen, machte er jetzt schlagartig dicht. »Ich verstehe nicht, was diese Frage soll. Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?«
»Ich versuche mir ein Bild von Rositas Umfeld zu machen. Und Sie gehören auch dazu.«
»Fast hätte ich vergessen, dass Sie seine Anwältin sind. Grüßen Sie ihn von mir. Und sagen Sie ihm, dass ihn seine eigentliche Strafe noch erwartet, wenn er aus der Klinik kommt.«
Ich versuchte mir etwas einfallen zu lassen, um Asscher wieder zum Reden zu bringen, aber er hatte sich bereits erhoben und gab mir die Hand. »Auf Wiedersehen.«
Etwas perplex blieb ich zurück. Ich hatte eindeutig ein heikles Thema angeschnitten. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sich Rosita mit dem Geliebtenstatus zufriedengegeben hatte. Sie wirkte eher wie eine Frau, die immer an erster Stelle stehen will. Warum hätte Asscher sonst gesagt, dass sie ihn eifersüchtig machen wollte?
Ich bat den Kellner um die Rechnung und holte
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