Blutige Asche Roman
mein Portemonnaie aus der Tasche. Noch etwas fiel mir ein. Hatte Rosita vielleicht damit gedroht, Asschers Frau von ihrem Verhältnis zu erzählen? Denkbar war das schon.
42
»Erzähl mal«, sagte Iris Kastelein. »Wie war Mama so, als du noch bei ihr gewohnt hast?«
»Böse«, antwortete ich. »Sie war beinahe die ganze Zeit böse.«
Sie lachte, obwohl ich nicht so recht verstand, warum. Lachte sie mich aus?
»Und warum war sie böse?«
Ich zuckte erneut die Achseln. »Ich kann das nicht gut.«
»Was meinst du?«
»Du willst ständig über Gefühle und so was reden. Ich bin nicht gut in Gefühlen, das weißt du doch.«
Wieder lächelte sie. »Ich möchte dich nicht verwirren. Soll ich dir mal was von mir erzählen? Ich bin schließlich deine kleine Schwester.«
Ich wollte Nein sagen, dachte aber an den Psychiater von Dwingelerheide: Es ist nett, wenn man sich für andere interessiert. Deshalb nickte ich.
»Mama war nicht oft böse auf mich. Ich würde sie eher als gefühllos beschreiben. So als wäre ich ein Projekt, das man fertigstellen muss. Zum Glück hatte ich Papa. Meinen Vater.« Sie schwieg eine Weile und runzelte die Stirn. »Mein Vater ist vor zehn Jahren gestorben. Weißt du, wer dein Vater ist?«
Mir wurde warm. So warm, dass ich kaum noch Luft bekam.
»Darf ich meinen Pulli ausziehen?«, fragte ich Mo.
»Wieso?«, wollte er wissen.
»Ich ersticke beinahe.«
»Haben Sie etwas dagegen?«, fragte er Iris Kastelein.
»Natürlich nicht.«
Ich zog meinen Pulli aus, so dass ich ihr in meinem weißen Hemd gegenübersaß. Das half ein bisschen, aber mir war immer noch warm.
»Wir haben über deinen Vater gesprochen«, sagte Iris Kastelein. »Weißt du, wer er ist?«
Ich knirschte mit den Zähnen.
»Mama hat dir nie etwas gesagt?«
Warum stellten mir alle Fragen, die ich nicht beantworten konnte? Wer ist dein Vater, wer ist dein Vater, dabei wusste ich das gar nicht. Glaubten die denn, dass ich noch nie danach gefragt hatte? Dachten die, ich bin verrückt?
»Tut mir leid«, sagte Iris Kastelein. »Ich hör auch schon wieder auf, einverstanden? Weißt du eigentlich, dass ich immer das Gefühl hatte, irgendwas stimmt hier nicht? Im Nachhinein kann ich mir viele Dinge erklären. Warum Mama ab und zu samstags auf Gartenmessen fuhr und auf keinen Fall wollte, dass Papa mitkam. Ihr geheimes Arbeitszimmer. Wusstest du, dass sie so etwas hatte? Es gab da ein Zimmer, das ich nie betreten durfte. Sie hat ein unglaubliches Theater darum gemacht.«
Sie sah über meine Schulter hinweg und fixierte irgendetwas im Raum. Ich drehte den Kopf und sah, dass sie Mo anschaute, der in der Ecke saß. Warum?
»Noch etwas«, sagte Iris Kastelein. »Ich habe den Leiter der Hopperklinik dazu gebracht, dass er Nachforschungen anstellt, wie die Drogen in deine Zelle gekommen sind.«
»Zimmer«, sagte Mo aus seiner Ecke. »Bei uns heißt das Zimmer.«
»Von mir aus.« Iris Kastelein schien es plötzlich auch warm zu werden. Sie war in einem dunkelblauen Hosenanzug und einer weißen Bluse gekommen. »Schickimicki«, wie Rosita immer gesagt hatte. Sie mochte das nicht. Bei Rosita durfte man alles Mögliche sein, sogar ein Dummerchen, aber Schickimickis waren ihr ein Gräuel. »Die halten sich immer für was Besseres. Warum? Weil sie zufälligerweise mehr Geld auf der Bank haben? Oder weil die Perlen um ihren Hals echt sind? Man erkennt gar keinen Unterschied. Die können mich mal.«
Ich fragte mich, ob sich Iris Kastelein für was Besseres hielt.
»Wie dem auch sei«, sagte Iris Kastelein, »ich habe ihm erklärt, dass du rein gar nichts mit den Drogen zu tun hast. Du konsumierst sie nicht und dealst auch nicht damit. Deine Urinuntersuchungen waren unauffällig, und die Soziotherapeuten haben noch nie Symptome erwähnt, die auf Drogenmissbrauch hinweisen. Das stimmt doch, oder?«
»Ja.«
»Genau. Ich will, dass die Sache gründlich untersucht wird. Da hier überall Überwachungskameras rumhängen, dürfte das nicht allzu schwierig sein. Ich hätte allerdings gern eine Liste der Leute, die in den Tagen, bevor die Drogen gefunden wurden, in deiner Zelle, Entschuldigung, in deinem Zimmer waren. Ich möchte wissen, bei wem auf deiner Station neulich Drogenkonsum festgestellt wurde. Ich werde der Sache auf den Grund gehen.« Sie verschränkte die Arme und sah mich so merkwürdig an. Ihren Mund schien ein Lächeln zu umspielen, aber ihre Augen sprachen eine andere Sprache. Wenn
Menschen lachen, kneifen sie die Augen
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