Blutige Asche Roman
Als ich wieder zu Hause war, sah ich nach den Fischen. Wie sie herumschwammen und immer glücklich waren! Obwohl man das natürlich nie mit absoluter Sicherheit wissen kann. Aber ich glaubte schon, dass es ihnen gutging, schließlich war immer jemand da, der sich um sie kümmerte. Und dieser Jemand war ich.
Ich maß zur Sicherheit alle Werte, obwohl ich es erst frühmorgens gemacht hatte und ich es heute Nacht, bevor ich zur Arbeit ging, erneut tun würde. Alles war in bester Ordnung. Das zu wissen, beruhigte mich. Ich ging duschen und dann ins Bett.
Normalerweise stand ich um halb drei auf, aber in dieser Nacht wurde ich schon um halb eins wach, weil ich bei Rosita lautes Geschrei hörte. Es kam aus dem Schlafzimmer. Ich nahm ein Glas und hielt es an die Wand, um zu hören, was geredet wurde.
»Bist du jetzt vollkommen übergeschnappt! Wie kannst du es wagen, Kontakt zu ihr aufzunehmen? Wie kannst du nur? Hast du auch nur die geringste Vorstellung, in welche Lage du mich damit bringst?« Ich glaubte, die Stimme von Annas Vater wiederzuerkennen. Ich hatte seinen Wagen schon öfter nachts vor ihrem Haus parken sehen. Rosita zufolge fuhr seine Frau ab und zu mit den Kindern zu ihrer Mutter. Und dann übernachtete Victor bei ihr.
Ich hörte, wie Rosita etwas darauf erwiderte. Sie schrie nicht, sie sprach ganz leise. Es war unmöglich zu verstehen, so fest ich mein Ohr auch gegen das Glas drückte.
»Was für ein Unsinn!«, schrie Victor. »Weißt du überhaupt, was du da tust? Du willst es wohl nicht anders. Ich hab die Schnauze endgültig voll. Morgen fahre ich in Urlaub, und danach ist es vorbei, verstanden?«
Dann wieder Rositas Stimme. Sie weinte, so viel bekam ich mit. Aber was sie sagte, war viel zu undeutlich. Auch Victor sprach jetzt leiser.
Ich blieb noch eine Zeit lang mit dem Glas an meinem Ohr stehen und lauschte angestrengt. Aber ich konnte nichts mehr verstehen. Irgendwann hörte ich Schritte auf der Treppe, und die Haustür wurde zugeschlagen. Ich schaute aus dem Fenster und sah, wie das alberne Auto von Victor Asscher die Koningin Wilhelminastraat verließ. Gleichzeitig hörte ich Rosita weinen.
Victor war wütend auf Rosita. Er hatte gebrüllt, nach dem Urlaub sei es aus. Für mich waren das gute Neuigkeiten. Sehr gute Neuigkeiten.
Jetzt hinderte Rosita, Anna und mich nichts mehr daran, eine Familie zu sein. Wir waren ja beinahe eine, das hatte Rosita selbst gesagt. Außerdem gab es noch mehr Gründe, die dafür sprachen: Ich kam jeden Tag zu Besuch, ich hatte Rositas Mumu gesehen, Anna hatte mich lieb. Bald würden wir richtig zusammen sein.
Ich konnte nicht mehr schlafen, vor lauter Aufregung. Viel zu früh ging ich zur Bäckerei und backte viel zu viele Croissants.
»Hast du gedacht, dass Samstag ist?«, fragte mein Chef.
Nach der Arbeit suchte ich eine Madeleine für Anna aus.
Diesmal schmückte ich die Tüte mit einem roten Bändchen. Heute gab es schließlich was zu feiern. Ich schaffte es kaum, normal zu gehen. Ich hüpfte zur Koningin Wilhelminastraat und klingelte bei Anna und Rosita.
Es dauerte lang. Vielleicht war Rosita auf der Toilette. Ich wartete und drückte erneut auf die Klingel. Und noch einmal. Niemand machte auf. Ich hängte die Tüte mit der Madeleine an die Tür und ging nach Hause. Warum war sie ausgerechnet heute nicht da? Zu Hause trat ich gegen die Tür und warf eine Vase kaputt, die mir meine Mutter geschenkt hatte. Aber das half mir auch nicht weiter. Ich zwang mich, ruhig zu werden. Ich zählte mehrmals alle meine Fische auf. Es half. Mein Puls wurde langsamer, und meine Gedanken rasten nicht mehr so. Ich beschloss, mir etwas Leckeres zu essen zu machen.
Am Vortag hatte ich ein pain de figues mitgenommen, das schmeckte herrlich mit holländischem Schafskäse. Während ich mit dem Käsehobel Scheiben abschnitt, glaubte ich in Rositas Haus ein Geräusch zu hören. Es war kaum wahrzunehmen, ganz weit weg aber unverkennbar: Tinky Winky … Dipsy … Laa-Laa … Po …«
Ich kannte dieses Lied. Ich nahm einen Bissen von dem köstlichen pain de figues . Wenn der Fernseher an war, dachte ich, mussten Rosita und Anna zu Hause sein. Und das bedeutete, dass mir Rosita absichtlich nicht aufgemacht hatte.
Ich kletterte über die niedrige Hecke in ihren Garten und stellte mich vor ihr Fenster. Rosita saß neben Anna auf dem Sofa. Sie trug eine Jogginghose, ein Unterhemd und war barfuß. Sie rauchte eine Zigarette und sah aus, als säße sie schon stundenlang so da.
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