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Blutige Fehde: Thriller (German Edition)

Blutige Fehde: Thriller (German Edition)

Titel: Blutige Fehde: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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ihre goldenen Haarsträhnen. Wann hatte er das letzte Mal etwas gezeichnet? Nicht mehr, seit er aus der Schule war. Er hielt den Block auf Armeslänge von sich und begutachtete sein Werk. Dafür war es gar nicht mal schlecht. Er zeigte es Ellen.
    »Siehst du?«, sagte er. »Das bist du.«
    Ellen lächelte und nahm ihm den Block aus den Händen. Sie legte sich auf den Boden, rollte sich auf den Bauch und suchte den orangefarbenen Buntstift heraus. Damit malte sie dicke Stricherund um ihr Gesicht, so dass ihr Porträt schließlich aussah wie eine Sonne vor einem weiß getrübten Himmel.
    »Und was ist das?«, fragte Lennon.
    »Feuer«, sagte Ellen. »Es brennt.«
    »Was denn für ein Feuer? Hast du Feuer gesehen?«
    Als Nächstes nahm Ellen den roten Buntstift. Damit füllte sie die Zwischenräume zwischen den orangefarbenen Strichen aus. »Immer wenn ich böse Träume habe, dann brennt es. Aber wenn ich aufwache, brennt es nicht mehr.«
    »Machen die Träume dir Angst?«
    Ellen legte ihren Buntstift hin und hielt sich die Hände vor die Augen. Sie ließ ihren Kopf bis fast auf den Boden fallen, ihr Atem hörte sich fremd an.
    »Tut mir leid«, sagte Lennon. »Ist ja schon gut, du musst es mir nicht erzählen. Es sind ja nur Träume. Die können niemandem weh tun.«
    »Das habe ich ihr auch schon erklärt«, sagte Marie.
    Lennon bekam einen fürchterlichen Schreck. »Du bist ja wach.«
    Marie reckte sich, ihre langen Arme schienen nicht enden zu wollen. »Anscheinend glaubt sie mir nicht.« Sie streckte Ellen ihre Arme entgegen. »Komm her, mein Schatz.«
    Schniefend verließ Ellen ihre Buntstifte und das Malpapier. Marie hob die Decke hoch. Ein warmer Luftzug mit einem letzten Hauch von Parfum umnebelte Lennons Sinne. Ellen kletterte auf das Sofa und kuschelte sich an ihre Mutter. Marie zog die Decke über sie und mummelte sie so fest darin ein, dass die Kleine darunter verborgen war. Dann wurde aus Wärme wieder Kälte, das Parfum war verflogen, und Lennon fragte sich, ob er sich beides nur eingebildet hatte.
    »Wie spät ist es?«, fragte Marie.
    Lennon sah auf seine Armbanduhr. »Kurz nach fünf.«
    »Du musst nicht bei uns bleiben«, sagte Marie. »Es weiß doch niemand, dass wir hier sind, oder? Niemand außer diesem Mann. Die Tür sieht solide aus. Uns wird schon nichts passieren.«
    »Ich sollte besser dableiben«, sagte Lennon.
    »Und wenn ich das nicht will?«
    »Dann bleibe ich trotzdem.«
    »Herrgott.« Marie schloss die Augen. »Bin ich denn neuerdings für alle nur noch das Burgfräulein in Nöten, verdammt?«
    Ellens Köpfchen kam unter der Decke hervor. »Das ist ein böses Wort, Mummy.«
    »Ich weiß, mein Schatz. Tut mir leid.«
    Zufrieden vergrub Ellen wieder ihren Kopf.
    »War sie es wert?«, fragte Marie. »Diese Frau? War sie alles wert, was es dich gekostet hat?«
    »Nein«, antwortete Lennon ohne Zögern.
    »Und warum dann?«
    Angst und Sehnsucht brachen aus Lennons Herzen hervor. Schon tausendmal war er im Kopf dieses Gespräch durchgegangen. Jetzt überlegte er, wie er es sagen sollte. »Weil ich ein Feigling war.«
    Marie hob den Kopf. »Gute Antwort«, sagte sie. »Weiter.«
    »Ich war ein Kind. Ich war noch nicht reif für … das hier. Sich wie ein Erwachsener aufzuführen, Dinge miteinander zu teilen, nicht immer nur an sich selbst zu denken. Ich hatte Angst. Wendy war für mich eine Fluchtmöglichkeit, und die habe ich ergriffen. Im Rückblick wird mir klar, dass es das Einzige war, was sie mir bedeutet hat: Sie war ein einfacher Ausweg. Der Ausweg eines Feiglings. Ich weiß es nicht, vielleicht waren wir beide auch einfach nicht füreinander bestimmt. Vielleicht hätte es nie funktioniert. Vielleicht war ich auch nur noch nicht so weit. Was auch immer, jedenfalls hätte ich das Richtige tun können und habe es nicht getan. Was ich dir angetan habe, hattest du nicht verdientund Ellen schon gar nicht. Falls dir das überhaupt etwas bedeutet: Es tut mir wirklich leid.«
    Marie starrte auf irgendeinen Punkt weit über Lennons Schulter hinaus. Minutenlang verharrte sie so, nur ihr leiser Atem war in der vollkommenen Stille zu hören und der noch leisere von Ellen, die vor sich hin döste.
    »Für meinen Vater sieht es nicht gut aus«, sagte sie schließlich. »Sie sagen, es ist nur eine Frage der Zeit, bis er den nächsten Schlaganfall hat. Und dann ist es endgültig zu Ende. Seit ich damals etwas mit dir angefangen habe, hat er nicht mehr mit mir gesprochen, so wie die meisten aus meiner

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