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Blutige Fehde: Thriller (German Edition)

Blutige Fehde: Thriller (German Edition)

Titel: Blutige Fehde: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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D-Train bestieg. Er beobachtete, wie der andere an seinem Waggon vorbeikam. Vermutlich würde sich sein Beschatter für den nächsten Wagen entscheiden und bei jedem Halt über die Schulter spähen, ob seine Zielperson die Bahn verließ.
    Da verschwendete der Mann seine Zeit. Fegan würde den Zug die ganze Strecke bis hinauf zum Columbus Circle fahren und bei Sonnenaufgang im Park spazieren gehen. Letzte Nacht hatte er kaum Schlaf gefunden. Das Gerede der Doyle-Brüder und ihr wissendes Grinsen hatten ihn wach gehalten, also war er früh aufgestanden und aus dem Haus gegangen.
    Fegan setzte sich hin und klappte sein Buch auf. Es war dünn, nur wenig mehr als hundert Seiten stark, er hatte es kurz nach seiner Ankunft in New York entdeckt. Mund und Augen aufgesperrt, war er die Bleeker Street hinabgelaufen, während die ganze Stadt durch ihn hindurchzurasen schien. Dann kam er an einem kleinen Laden vorbei und blieb stehen. Eine Erinnerung lockte ihn zur Tür. Auf dem Schild über dem Eingang stand: Greenwich Judaica. Er ging hinein.
    Er konnte sich nicht mehr an den Titel des Buches erinnern,von dem ihm Marie McKenna vor ein paar Monaten erzählt hatte, während er starr vor Angst neben ihr gesessen hatte. Aber er konnte immer noch die Traurigkeit in ihrer Stimme hören bei den Worten, dass ihr toter Onkel, der Mann, den er getötet hatte, sie einst gezwungen hatte, es zu zerreißen. Nach einigen Erklärungen fand der junge Mann in dem Geschäft in einer Kiste mit gebrauchten Büchern ein Exemplar von Jossl Rakovers Wendung zu Gott. Fegan hatte es bislang zweimal gelesen und dabei die Wörter genauso langsam und bedächtig entziffert wie seinerzeit in der Schule der Christlichen Brüder in Belfast. Schon damals hatte er nicht besonders gut lesen können und konnte es immer noch nicht. Während er mit dem Text kämpfte, ertappte er sich dabei, dass er die Lippen bewegte, und hielt sich eine Hand vor den Mund.
    Fegan las gerne in der U-Bahn. In seinem feuchtkalten Zimmer war es zu still. Draußen war es zu laut. Das monotone Rattern der U-Bahn dagegen war genau richtig. Außerdem brauchte man dort etwas, worauf man die Augen richten konnte. In den ersten Tagen hier war es ihm seltsam vorgekommen, dass die Leute, kaum dass sie saßen oder sich sogar nur an den Haltestangen festhielten, einschliefen. Aber danach war es ihm selbst so ergangen.
    Victor Gonzalves, ein Elektriker aus Brasilien mit breiten, behaarten Schultern, hatte es die New Yorker Narkolepsie genannt. Anstatt ständig den Blickkontakt zu anderen Passagieren zu vermeiden, war es einfacher, die Augen zuzumachen und zu dösen. Fegan allerdings krochen dann immer die Träume hinter die Augenlider, Wiedergänger seiner nächtlichen Visionen. Deshalb las er lieber.
    Die Bahn wurde langsamer, die Bremsen kreischten, und Fegan wurde auf seiner Bank nach vorn gezogen. Eine blecherne Stimme kündigte die Haltestelle 59th Street/Columbus Circle an. Fegan steckte sein Buch ein, stieg aus und machte sich auf denWeg nach oben. Immer noch erfüllte ihn eine geradezu kindliche Erregung, wenn ein Lüftchen die Geräusche und Gerüche der Stadt die Treppe hinuntertrug und ihn umfing.
    Fegan ließ sich von den Schritten hinter sich nicht stören. Die Doyles dachten, er würde aus der Stadt fliehen, und das würde er auch, aber noch nicht sofort. Er brauchte Zeit, um nachzudenken und einen Plan zu schmieden. Von diesen Leuten würde er sich nicht dazu verleiten lassen, in Panik davonzulaufen, bevor er wusste, wohin er gehen konnte. Wenn er so weit war, würde er aus der Stadt verschwinden, ganz egal, wer ihm folgte. Vielleicht zurück nach Boston – dort hatte er einen Monat verbracht, bevor er nach New York gekommen war – oder nach Philadelphia.
    Es war jetzt schon nach halb sieben, und im Osten glomm hinter den Türmen eine erste Ahnung von Licht auf. Der Glaspalast des Time Warner Center spiegelte schwach den beginnenden Sonnenaufgang wider. Fegan hatte das Gebäude nur einmal betreten und sich arm gefühlt, als er an den Boutiquen voller Frauen mit harten Gesichtszügen und steif dastehenden Verkäufern vorbeigeschlendert war. Er verspürte keinerlei Neigung, dorthin zurückzukehren. Zahllose gelbe Taxis röhrten um den Kreisverkehr, besetzt mit irgendwelchen Angestellten, die früh ihren Arbeitstag begannen. Fegan wartete auf eine Lücke im Verkehr, dann überquerte er die Fahrbahn in Richtung des riesigen Maine Monument und des dahinterliegenden Eingangs zum Park. Er

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