Blutige Fehde: Thriller (German Edition)
Carrickfergus. Ich will, dass Sie dabei sind und alles überwachen.«
Lennon lehnte sich über die Schwelle und warf einen prüfenden Blick in den Raum. Das Opfer, ein Mann mit dunkel gewelltem Haar, saß mit dem Rücken zur Tür, seine Arme hingen schlaff zu beiden Seiten des Sessels herab. Ein Beistelltisch war umgekippt, auf dem Boden lagen eine Wodkaflasche und ein Glas. Die Wohnung sah allerdings nicht danach aus, als gehöre sie dem Opfer. Das waren die Möbel einer alten Frau, spießige Tapeten, Krimskrams mit Rüschen und kitschiger Nippes. »Ist sonst noch jemand hier?«, fragte Lennon.
»Die Mutter des Opfers ist gerade weggebracht worden.« Gordon trat einen Schritt zurück, um den Fotografen durchzulassen. »Sie ist auf dem Weg ins städtische Krankenhaus. Offenbar war sie mit einem Gürtel geknebelt. Sie mussten ihr ein Beruhigungsmittel geben, weil sie die ganze Zeit geschrien hat: ›Bobby war es.‹ Ein Nachbar hat erzählt, Bobby war ihr Sohn. Ein Soldat hat ihn vor zwanzig Jahren erschossen, als er eine Straßensperre durchbrochen hat.«
»Dann können wir den ja schon mal von der Liste streichen«, bemerkte Lennon. »Und wer ist unser Freund da?«
»Tja, das ist übrigens tatsächlich interessant. Der Tote ist kein Unbekannter. Er war sogar schon mehr als einmal unser Gast.« Gordon lächelte. »Das ist … war … Mr. Declan Quigley, der frühere Fahrer des dahingeschiedenen Paul McGinty.« Gordon schaute Lennon an. »Was ist?«
»Declan Quigley«, wiederholte Lennon.
»Ja.«
»Paul McGintys Fahrer.«
»So ist es.«
»Das kann unmöglich ein Zufall sein«, erklärte Lennon.
»Was?«
»Erst vor ein paar Tagen hat es Kevin Mallory erwischt. Der war auch in diese Fehde verwickelt.«
Gordon legte Lennon eine Hand auf die Schulter. »Hören Sie, die Geschichte mit dieser Fehde ist längst erledigt. Ziehen Sie keine voreiligen Schlüsse, sonst übersehen Sie noch was. Declan Quigley war ein Mistkerl. Mistkerle wie er kennen auch andere Mistkerle, und an denen herrscht in Belfast ja kein Mangel. Sie nützen mir nichts, wenn Sie nicht sämtliche Möglichkeiten in Betracht ziehen. Verstanden?«
»Verstanden«, sagte Lennon. »Es ist nur, dass …« Er biss sich auf die Zähne.
»Dass was?«
»Nichts«, sagte Lennon. Er nahm sich fest vor, morgen Maries Vermieter anzurufen. Als Lennon ihn das letzte Mal befragt hatte, war nichts dabei herausgekommen, aber da hatte er sich auch nur vorsichtig herangetastet und die eigentlichen Fragen lediglich am Rande berührt. Diesmal würde er ein wenig entschiedener auftreten.
Der Fotograf drückte sich an ihnen vorbei.
»Morgen früh auf meinem Schreibtisch«, rief Gordon ihm nach. Er stupste Lennon an. »Dann mal los. Machen Sie sich Notizen. Und passen Sie auf, wo Sie hintreten.«
Lennon holte einen Notizblock und einen Stift aus der Tasche und folgte Gordon in das Zimmer. Beide stellten sich vor Quigleys Leiche.
»Hmm«, machte Gordon. »Kommt Ihnen irgendetwas an Mr. Quigleys Anblick seltsam vor, Detective Inspector Lennon?«
»Das tut es«, antwortete Lennon.
»Warum?«
Lennon hockte sich neben dem Sessel hin. Er deutete mit dem Stift auf die Leiche. »Keine Abwehrverletzungen auf Händen oder Unterarmen. Einer, der mit dem Messer angegriffen wird,versucht normalerweise, sich zu wehren, vielleicht sogar, nach der Klinge zu greifen.«
»Also?«
»Also war entweder der Angreifer so schnell, dass Quigley völlig ahnungslos war, oder er hat es einfach über sich ergehen lassen.«
»Und die Wunde – oder besser gesagt die Wunden?«
Lennon stand auf und beugte sich über die Leiche. Mitten auf Quigleys Brust war ein faustgroßer roter Fleck. »Sehr sauber. Die meisten tödlichen Messerstiche werden in besinnungsloser Wut beigebracht, mit vielen Stichwunden auf dem Körper, den Armen und Schultern, dem Hals und sogar dem Kopf.«
»So wie Ihr Freund Rankin es bei Crozier gemacht hat«, bemerkte Gordon.
»Genau. Aber hier gibt es nur zwei, drei Einstiche, alle ungefähr an der gleichen Stelle, direkt durch das Brustbein ins Herz. Vermutlich ist er an seinem eigenen Blut erstickt, das durch die Löcher in die Lunge drang. Kein großes Gesudel. Der Angreifer wusste, was er tat.«
Etwas neben dem umgestürzten Tischchen erregte Lennons Aufmerksamkeit. »Sehen Sie mal«, sagte er und deutete darauf.
Gordon hockte sich neben ihn hin. »Eine Stricknadel. Und ich glaube, das da an der Spitze ist Blut.«
»Die Waffe kann das nicht gewesen sein«,
Weitere Kostenlose Bücher