Blutige Küsse und schwarze Rosen
er selbst noch zu unwissend war, um ihm, Elias, ein guter Lehrer sein zu können.
„Ich lernte die beiden gleich nach meinem Umzug hierher kennen“, hatte er erzählt. „Sie nahmen mich sofort auf, obwohl ich so gar nicht zu ihnen passte. Ich war zu jung, zu unerfahren.“ Sie hätten ihm während seiner Verwandlung beigestanden und ihn all die Dinge über das Vampirdasein gelehrt, die er heute wisse. Dinge, die Elias nun ebenfalls zu lernen hatte.
„Du bist nicht wie dein Angreifer“, meinte Elias plötzlich, während Nico und er die in Dunkelheit getauchten Straßen der Gemeinde entlang gingen. Eine Dunkelheit, die ihm heute nicht so schwarz vorkam wie gewöhnlich. Ihm nicht seine Sicht nahm, wie sie es noch vor wenigen Stunden getan hatte. Und auch sonst wirkte die heutige Nacht um ein Vielfaches klarer. Die Luft roch anders als am helllichten Tag, war nicht nur kühler, sondern vor allem purer. Die Stille war greifbarer und der Wind schien weicher auf der Haut zu sein. „Du hast vorhin einen Vergleich angestellt. Das solltest du nicht. Du bist anders.“
Ein sanftmütiges Lächeln breitete sich auf Nicos Lippen aus. Es ließ seine Augen strahlen und Elias wissen, wie viel ihm das Gesagte bedeutete. Doch sein Freund erwiderte nichts und Elias fragte sich, ob es daran lag, dass er ihm nicht zustimmen konnte.
Erst als sie gemeinsam aus dem Wohnviertel der Kleinstadt traten, vorbei an einer weitläufigen Wiese, ergriff Nico wieder das Wort.
„Du musst wissen … Sie sind anders als wir, leben unter sich.“ Er sah Elias von der Seite an. „Das liegt daran, dass sie seit langer Zeit die Menschen scheuen.“
Wie bereits so oft an diesem Tag, nahm Elias die nicht enden wollenden Informationen in sich auf und sortierte sie, ohne näher auf sie einzugehen. Denn wenn er ehrlich war, kümmerte es ihn im Moment überhaupt nicht, weshalb diese Vampire abseits der Menschen lebten. Viel mehr beschäftigte ihn die Nervosität, die in seinem Inneren wuchs, als Nico und er einen ihm nur allzu vertrauten Weg einschlugen.
„Daher also das Licht?“, hakte er nach, als die alte Kirche in Sicht kam. „An meinem Geburtstag?“
Nico folgte seinem Blick. „Ja. Zum Sehen brauchen wir es zwar selbst bei Nacht nicht, aber im Inneren der Mauern kann es sehr kalt werden. Darum zünden Elisabeth und Melchior im Kirchenschiff manchmal ein kleines Feuer an. Ich wollte dich an deinem Geburtstag nicht einfach da reinplatzen lassen, da die beiden den Kontakt zu Sterblichen scheuen. Stattdessen hatte ich vor, dich nach dem Biss zu ihnen zu bringen. Ist nur ein wenig schiefgegangen.“
Elisabeth und Melchior … Elias konnte nicht glauben, dass sein bester Freund die ganze Zeit einem Bekanntenkreis angehörte, von dem er nichts gewusst hatte. Die ganzen drei Jahre über. Drei Jahre, in denen ihn und Elias eine tiefe Freundschaft verband. Und auch drei Jahre, in denen Nico kein gewöhnlicher Mensch gewesen war.
„Du siehst nicht aus wie neunzehn“, bemerkte Elias auf einmal. „In diesem Alter bist du gebissen worden, mit neunzehn. Es heißt, dass Vampire ab dem Zeitpunkt der Verwandlung nicht mehr wachsen, nicht altern und nicht sterben. Doch seitdem ich dich kenne, hast du dich eindeutig verändert, bist … männlicher geworden.“
Der Eingang zum Friedhof lag keine hundert Meter vor ihnen, als Nico seine Schritte verlangsamte.
„Es stimmt, dass wir nicht alt werden“, erklärte er. Der seichte Wind, der in dieser Nacht ging, zerzauste sein ohnehin wirres Haar. „Allerdings hören wir erst mit dem Altern auf, wenn wir körperlich komplett ausgewachsen, entwickelt und somit am leistungsfähigsten sind. Das ist mit etwa zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren der Fall.“ Nico trat kleine Kieselsteinchen auf dem Fußweg vor sich her. „Und was das Sterben angeht … Wir sterben nicht auf natürliche Weise, nein. Aber wir sind bei Weitem nicht unsterblich.“ Ein schiefes Lächeln bildete sich auf seinem Gesicht. „Wir können gepfählt werden.“
„Dann stimmt es? Holz im Herzen tötet Vampire?“
„Na ja …“ Nico zuckte grinsend die Achseln. „Einen Menschen würde so ’n Pflock im Herzen schließlich ebenfalls erledigen, oder? Das ist also kein Privileg von Vampiren.“ Er versetzte Elias einen freundschaftlichen Hieb in die Rippen und zum ersten Mal seit Stunden konnte er wieder lächeln. „Außerdem muss es nicht unbedingt Holz sein. Wird unser Herz durchstochen, sind wir so tot wie die da.“ Nico nickte zu
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