Blutige Küsse und schwarze Rosen
passieren. Unsere Haut ist noch ganz die alte, außer dass sie nun empfindsamer ist und bei Verletzungen schneller regeneriert.“
Elias betrachtete seine Fingerkuppe, die er sich im Badezimmer aufgeschnitten hatte. Nicht einmal ein hauchdünner Kratzer war mehr zu erkennen.
„Und wie kannst du – ich meine … Wie können wir heilen und warum frieren? Wir sind schließlich … tot.“ Er sah Nico verwundert an.
Dessen Antwort kam in einer Gegenfrage: „Wie können wir tot sein, wenn unsere Herzen schlagen und wir denken und fühlen können?“ Er nahm Elias’ Hand und platzierte sie auf seiner eigenen Brust. „Fühlst du meinen Herzschlag?“
Zunächst verstand Elias nicht. Er spürte rein gar nichts hinter Nicos Brustkorb. Dann jedoch, kaum merklich, konnte er es spüren. Das Herz unter seiner Hand pochte so schnell wie der Flügelschlag eines Kolibris.
„Für Menschen ist es unmöglich, die Schläge zu spüren“, erklärte Nico leise. „Sie gehen zu schnell. Deshalb heißt es in den alten Legenden, wir seien tot. Was nicht stimmt. Wir sind lebendiger denn je. Unser gesamter Kreislauf ist beschleunigt – der Stoffwechsel und mit ihm die Erneuerung der Zellen. Dank der Mutation aber wird der Körper nicht abgenutzt und wir bleiben ewig jung. Darum heilen wir schnell und darum brauchen wir Blut: Aufgrund der beschleunigten Vorgänge können Vampire keine Nährstoffe aus gewöhnlicher Nahrung aufnehmen. Um unseren Energiebedarf zu decken, sind wir dazu gezwungen, das bereits mit den Nährwerten angereicherte Blut zu trinken. Dieses gelangt direkt, also ohne verdaut zu werden, in unseren Kreislauf. Aus diesem Grund haben wir auch schärfere Sinne – und nur dank diesen kannst du meinen Puls überhaupt spüren. Es hängt alles miteinander zusammen. Wir sind für die Unendlichkeit geschaffen. Die Perfektion des Lebens.
Und nun hat dein Körper mit der Verwandlung begonnen. Dein Herz wird ab jetzt immer schneller schlagen. Wahrscheinlich hast du schon morgen einen fast vollwertigen Vampirherzschlag.“
Nicos Worte stimmten Elias unsagbar traurig. Er konnte spüren, wie lange sein Freund auf den Moment gewartet hatte, in dem er Elias zu seinesgleichen verwandeln konnte. Und nun wagte er nicht einmal mehr, Nico Vorwürfe zu machen. Denn das ewige Leben musste wahnsinnig einsam sein, wenn man stets vor Augen hatte, dass der Tod einem irgendwann alle Lieben nehmen würde. Ein Schicksal, das jedoch nun auch Elias bevorstehen würde. Ein unwiderrufliches Schicksal.
„Ich komme gleich wieder“, flüsterte er plötzlich mit zugeschnürter Kehle und erhob sich, ohne Nico einen weiteren Blick zuzuwerfen. All das war ihm einfach zu viel.
Als Elias das Bad erreichte und die Tür hinter sich abschloss, konnte er das klackende Geräusch in seine einzelnen Auslöser zerlegen: die Feder, das Metall, der Riegel.
Als er auf die Knie fiel, konnte er die kalten, harten Fliesen mit jedem Millimeter seiner Haut fühlen.
Als er stumm in Tränen ausbrach, konnte er das Salz in den Tropfen riechen.
Kapitel 5
Z USAMMENKUNFT
Die Zeit verging ungewöhnlich schnell, und kaum dass Elias aus dem Badezimmer gekommen war, neigte sich der Tag schon dem Abend zu. Nico war bei ihm geblieben. Er hatte Elias’ leisen Zusammenbruch nicht erwähnt, obgleich er diesen mitbekommen haben musste. Dafür war Elias ihm sehr dankbar – ihm fehlte die geistige Kraft, jetzt über seine Ängste zu reden oder getröstet zu werden. Und so war er auch für das einvernehmliche Schweigen dankbar, das sie bis Sonnenuntergang fast durchgängig wahrten.
Es war kurz nachdem der letzte Sonnenstrahl hinter dem Horizont verschwunden war, als Elias zum ersten Mal seit Stunden in Nicos Gesicht sah. Er wirkte in sich gekehrt, tief in Gedanken versunken.
„Was hast du?“, fragte er. Seine Stimme war heiser vom langen Schweigen.
Verstört hob Nico den Kopf. „Du sorgst dich um mich ?“ Er klang tieftraurig und gleichzeitig gerührt, dass Elias in solch einem Moment an ihn dachte. „Ich denke an meine eigene Verwandlung zurück … Daran, dass ich nicht besser bin als mein Erschaffer.“
„Was ist damals passiert?“ Elias war froh über die Ablenkung. Zwar war sein Interesse durchaus ernst gemeint, doch tat es ebenso einfach nur gut, nicht mehr ununterbrochen die eigenen Gedanken sortieren und immer wieder durchkauen zu müssen. „Wie war die Zeit nach dem Biss für dich?“
Nico zuckte die Schultern. „Wie es passiert ist, weiß ich nicht
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