Blutige Küsse und schwarze Rosen
Inneren sagte ihm, es sei unklug, sich mit Elisabeth anzulegen. Bei einem Kampf war sie ihm zweifelsohne überlegen, war erfahrener im Umgang mit den für ihn neuen Kräften. Vielleicht war es dieser Gedanke, der aus ihm sprach, als er sagte: „Ich wollte es. Nico hat mir nur meinen Wunsch erfüllt. Er hat mich nicht angegriffen oder so.“
Wenn Elias Nico mit dieser Lüge von dem Zorn der beiden abschirmen konnte, so würde er das tun. Kaum war diese aber geäußert, bereute Elias sie bereits.
Elisabeths Augen flackerten voller Rage auf und verengten sich, als sie Elias fixierten wie ein Stück Beute. Es war der Anblick einer Jägerin und Elias kam nicht umhin, sich zu fragen, wie viele Opfer diese Augen schon gesehen hatten. Selbst wenn Nico nie vom Jagen geredet hatte, so mussten die Vampire doch irgendwie an Blut kommen.
„Ohhh … Du wolltest es?“, flüsterte, ja zischte sie voller Hohn und auch als Melchior ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter legte, lenkte sie nicht ein. „Es war dein Wunsch, ja? Das glaube ich dir aufs Wort.“ Sie musterte ihn von oben bis unten. „Diese verdammten Menschen heutzutage! Ergötzen sich an Geschichten über Vampire und lassen uns zu einem Hype werden! Und plötzlich will jeder zu den Unsterblichen gehören. Du erbärmlicher Möchtegern-Vampir hast gar keine Ahnung! Du mit deinen geschminkten Augen und der schwarzen Kleidung! Lachhaft bist du, mehr nicht!“
„Das reicht jetzt!“, warf Nico zähneknirschend ein und stellte sich vor Elias, dem seine zu Fäusten geballten Hände nicht entgingen.
Er bewunderte Nico für sein Einschreiten, denn Elisabeth schien niemand zu sein, dem man sich entgegenstellen sollte. Nicht einmal Melchior, der Elisabeth weiterhin zu beruhigen versuchte, wirkte wie ein gleichwertiger Gefährte. Er himmelte sie mit großem, beinahe verängstigtem Blick an und sah viel mehr wie ein Untergebener aus, der Elisabeth nicht zu widersprechen wagte.
„Du kennst ihn überhaupt nicht! Also hör auf der Stelle auf. Ich weiß, wie schwer dir das alles fällt, aber …“
„Lass es einfach“, sagte Elias Nico leise. Er hatte ohnehin genug gehört. „Ich habe ganz bestimmt nicht vor, deine Freunde näher kennenzulernen.“
Ohne die beiden vor der Tür postierten Vampire eines Blickes zu würdigen, schritt Elias an ihnen vorbei und durch das Vorzimmer ins Freie. Hinter sich hörte er noch ein aufgeregtes Stimmengewirr, das er konzentriert auszublenden versuchte. Seine Schritte brachten ihn instinktiv voran und erst als er in die Knie ging, merkte Elias, wo sie ihn hingetragen hatten.
Er befand sich an genau der Stelle, an der er erst eine Nacht zuvor gekniet hatte. An der Stelle, an der er gebissen und verwandelt worden war. An der Stelle, an der sein Leben sich unwiderruflich verändert hatte.
Bei diesem Gedanken flossen heiße Tränen unkontrolliert aus Elias’ Augen. Sie rannen seine Wangen hinunter und sammelten sich an seinem Kinn, bis sie schwer genug waren, Reißaus zu nehmen und Richtung Boden zu fallen.
Mit verschwommenem Blick sah er den alten Grabstein vor sich an. Der Name des Verstorbenen war bröselig und dadurch kaum zu entziffern – das Todesjahr für Vampiraugen hingegen kein Problem: 1709. Am elften Dezember dieses Jahres war jemand gestorben, war jemand von seiner geliebten Familie zu Grabe getragen worden. Das würde ihm, Elias, nicht geschehen. Niemals. Er würde all die Menschen, die ihm am Herzen lagen, nach und nach verlieren und er selbst würde sie alle überleben. Sogar seine kleine Schwester Ines. Er würde länger auf dieser Erde weilen als sie – würde zusehen müssen, wie sie immer älter, schwächer und kränker wurde. Er würde ihre faltige Hand halten und in ihr vom Alter gezeichnetes Gesicht schauen, während sein eigenes auf ewig unverändert bleiben sollte.
Das konnte unmöglich richtig sein. Er hatte kein Recht dazu. Kein Recht, über ihr zu stehen!
„Ich habe mir gedacht, dass du hier bist.“ Nico ging neben ihm auf die Knie. Er klang in etwa so, wie Elias sich fühlte. „Es heißt, die meisten Neulinge kehren anfangs oft an den Ort zurück, an dem sie verwandelt wurden. Es zieht sie einfach dahin.
Mir ging es damals anders. Ich hab die Stelle am See gefürchtet. Vielleicht hatte ich Angst davor, dort meinem Erschaffer zu begegnen und ihm gegenüberzustehen. Ich weiß es nicht …“ Er seufzte schwer und Elias spürte seinen Blick auf sich ruhen, wusste, dass Nico versuchte, ein Gespräch
Weitere Kostenlose Bücher