Blutige Küsse und schwarze Rosen
verlassenen Friedhof wie diesem würde das Geräusch jedem Lebenden, der nicht vor Kurzem erst Dinge wie die Existenz von Vampiren zu bewältigen hatte, einen entsetzlichen Schrecken einjagen.
„Hier seid ihr also!“ Melchior blieb erleichtert vor ihnen stehen. „Das gerade eben tut mir leid. Elisabeth ist seit jeher sehr temperamentvoll. Sie war einfach nicht darauf vorbereitet und wird sich bald beruhigt haben. Sie schickt mich, um dir das zu geben.“ Er reichte Elias eine große Glasflasche, wie man sie an Bauernhöfen befüllt mit Milch kaufen konnte. Nur war der Inhalt dieser Flasche nicht weiß. „Du musst immerhin etwas essen.“
Zögernd nahm Elias das Blut entgegen und murmelte ein leises ‚Danke‘. Ob das als Wiedergutmachung gedacht war, wusste er nicht. Vielleicht war dies eine Geste aus reinem Pflichtgefühl, da man bekanntlich niemanden verhungern lassen sollte.
„Es reicht wahrscheinlich für einen Tag“, fuhr Melchior fort. „Denn wir möchten, dass du morgen ein weiteres Mal kommst. Elisabeth und ich laden dich herzlich ein. Obwohl wir einen schlechten Start hatten, bin ich mir sicher, dass wir uns gut miteinander verstehen werden.“
Dessen war sich Elias keinesfalls sicher. Ehe er aber etwas entgegnen konnte, meldete sich Nico zu Wort.
„Ich bringe ihn erst einmal nach Hause“, sagte er. „Morgen sehen wir weiter.“
Mit einem Lächeln, das zu freudig gestimmt für solch einen Gesprächsverlauf war, verneigte Melchior sich leicht und verabschiedete sich.
Dann machten sich auch Elias und Nico auf den Weg. Sie nahmen eine Abkürzung quer über die unbenutzte Wiesenfläche, auf der jedes Jahr im Sommer ein Lichterfest gefeiert wurde. Den Rest des Jahres war der übergroße Rasenmäher das monatliche Highlight für dieses Stückchen Land.
„Wirst du morgen kommen?“, fragte Nico, nachdem sie eine Weile geschwiegen hatten. „Zur Kirche? Oder soll ich das Blut für dich holen?“
Elias zuckte die Schultern. „Ich weiß es noch nicht. Bin nicht gerade scharf darauf. Andererseits lasse ich mich sicher nicht von dieser Frau einschüchtern.“ Er grinste und in Anbetracht des vergangenen Tages fiel es ihm erstaunlich leicht.
Erneut trat Schweigen ein – jedoch keine Stille. Es war nicht still. Nicht für sie beide. Das Knistern der nahe gelegenen Strommasten erfüllte die Luft, ließ sie vibrieren. Der Wind streifte geräuschvoll durch das knöchelhohe Gras und selbst das Zirpen der Grillen klang in der nächtlichen Ruhe penetrant laut.
„Was ist das für Blut?“, wollte Elias dann mit einem Blick auf die Flasche wissen. „Wo kommt es her?“
Nico legte die Stirn in Falten, sichtlich unzufrieden mit der Antwort, die folgte.
„Es ist gespendetes Blut“, erklärte er. „Weißt du, noch eine Sache stimmt, die man gerne mit Vampiren in Verbindung bringt: ihre Anziehungskraft auf Menschen. Die meisten Sterblichen fühlen sich aus irgendeinem Grund stark zu Vampiren hingezogen. Sie werden zu Wachs in unseren Händen.“ Elias konnte hören, mit welcher Sorgfalt Nico die Worte wählte. „Das macht sich Elisabeth zu Nutzen. Sie hat nicht gerade wenige Leute aus Krankenhäusern und Lagern um den kleinen Finger gewickelt, die direkt an der Quelle sitzen und uns mit Blut versorgen. Auf Elisabeths Wunsch hin ändern sie die Nummerncodes der Konserven, zweigen sie ab oder lassen sie sonst wie verschwinden. Keine Ahnung, es ist ein regelrechtes Netz, das sie gesponnen hat. So genau wollte ich es nie wissen. Immerhin ist das Zeug gestohlen und besonders am Anfang kam ich mir ziemlich mies bei dem Gedanken vor, dass diese Spenden vielleicht jemandem das Leben retten sollten.“
„Wir brauchen es ebenso dringend, ob nun gestohlen oder nicht“, meinte Elias nüchtern. Er empfand keine Gewissensbisse, etwas Illegales zu tun, um sein Leben zu retten.
„Ich bin froh, dass du das so siehst. Wahrscheinlich bin ich einfach verweichlicht.“ Als Nico fortfuhr, wirkte er erleichtert. „Wie dem auch sei … Diese Helfer beschaffen das Blut, das nach der Spende mithilfe von Citrat gerinnungsunfähig gemacht wird und dadurch leider etwas eigenwillig schmeckt. Danach lagern Elisabeth und Melchior es in kleinen Mengen in der Krypta unterhalb des Altars, wo es selbst im Hochsommer noch sehr kühl bleibt.“
Nachdenklich betrachtete Elias die Flasche. Wirklich ungefährlich kam ihm diese Methode nicht vor. „Was ist mit Krankheiten? Das Blut könnte selbst bei Spenden mit sonst was infiziert
Weitere Kostenlose Bücher