Blutige Küsse und schwarze Rosen
ihm nun zurück ins Bewusstsein stieg – ihn verstehen ließ. Das Tageslicht … Die Flüche …
„In die Kirche!“, brüllte er Nico zu.
Der rührte sich nicht, stand reglos wie eine Skulptur da und sah auf die Herzen vor sich nieder. Er war wie versteinert, schien nicht einmal mehr zu atmen.
„Verdammt, Nico!“ Mit gepeinigten Gliedern rappelte sich Elias hoch und rannte humpelnd auf ihn zu, packte seine Schulter und rüttelte ihn mit aller Kraft, bis er langsam zur Besinnung kam. Aber noch ehe der letzte Rest der zäh haftenden Starre abgeworfen war, hörten die Herzen bereits auf zu schlagen. Sofort ergriff Elias Nicos Arm und eilte mit ihm in Richtung Kirche. Es dauerte unerträglich lange, bis die zwei zum Eingangstor gelangten.
Zu lange.
Gerade als sie das Schutz bietende Gemäuer erreicht hatten und die Stufen hinaufstürzten, fluchte Nico schmerzerfüllt auf.
Von Furcht erfasst, rannten sie durch das Vorderzimmer und anschließend den Mittelgang des Kirchenschiffs entlang, das durch die hohen Bogenfenster schon mit Sonnenlicht geflutet war. Licht, vor dem Elias seinen Freund abzuschirmen versuchte. Dennoch streiften die goldenen Strahlen immer wieder Nicos Haut. Immer wieder stieß der einen gequälten Laut aus, bis der Altar endlich erreicht war.
„Hier rein!“, wies Elias an und half ihm durch den Eingang der Krypta. Zu seiner Erleichterung war der Stein, der die Öffnung verbarg, bereits beiseitegeschoben. Elisabeth und Melchior schienen nicht einen Gedanken daran verschwendet zu haben, dass jemand sich hierher verirren könnte, während sie sich auf dem Friedhof befanden.
Anschließend ließ sich Elias selbst hinunter. Seine vor Angst schweißnassen Finger – mit denen er sich am Rande des Durchlasses festklammerte, um dann hinabzuspringen – gaben ihm jedoch nicht genug Halt. Er rutschte weg und fiel in die Tiefe. Einzig seiner schnellen Reaktionsfähigkeit war es zu verdanken, dass er noch rechtzeitig auf allen vieren landete.
Nachdem er sich aufgerichtet hatte, brauchte er einen Moment, um Nico in der Krypta ausfindig zu machen. Er saß bewegungslos auf dem Steinboden gegen die kahle Wand gelehnt. Seine Knie hatte er mit umschlungenen Armen an den Körper gezogen und den Kopf darauf gebettet.
Behutsam trat Elias an ihn heran und ließ sich an seiner Seite nieder. Er wagte nicht zu reden, was den Augenblick unerträglich still machte.
„Vielleicht hilft dir das ja, um über mich hinwegzukommen“, meinte Nico plötzlich, die leise Stimme so voller schwarzem Humor. „Du wünschst dir immerhin nichts sehnlicher.“
Er hob den Kopf und Elias begriff, was die scheinbar zusammenhanglosen Worte zu bedeuten hatten: Die rechte Seite von Nicos Gesicht war mit unzähligen kleinen Brandblasen bedeckt. Die Wunden erstreckten sich über den Hals und verschwanden irgendwo unter dem Stoff seines T-Shirts. Es war ein schmerzhafter Anblick.
„Ich finde dich nach wie vor wunderschön“, hörte Elias sich wispern, noch ehe sein Verstand die Äußerung hätte stoppen können. Es war zwar die Wahrheit – nichts konnte Nico in seinen Augen entstellen –, doch noch nie hatte er seine Gefühle in irgendeiner Weise zum Ausdruck gebracht. Er hatte stets darauf geachtet, sie für sich zu behalten, aus Sorge vor Nicos Reaktion.
„Von der Verletzung rede ich gar nicht. Sondern von dem Fluch, dem ich diese zu verdanken habe.“
„Fluch?“, wiederholte Elias kaum hörbar. Und obwohl er bereits zuvor verstanden hatte, kroch eine eiskalte Übelkeit in ihm hoch, als es laut ausgesprochen wurde. „Weil du das Ritual verhindert hast?“ Nico war gekommen, um ihn zu retten. Nur wegen ihm war all das passiert …
„Selbst wenn dies der Auslöser gewesen wäre, hätte ich es verhindert und dich da raus geholt“, stellte Nico klar. „Aber, nein, mit dem Ritual hat das rein gar nichts zu tun.“ Er sprach langsam, als sei er mit den Gedanken meilenweit entfernt. „Es war der Mord. Mit dem Mord an Elisabeth und Melchior habe ich ihn auf mich gezogen. Den Fluch. In der Sekunde, in der ihre Herzen zum Stillstand kamen.“ Nico fuhr sich unruhig durch das Haar. „Wenn ein Vampir jemandem das Leben nimmt, kann er nie mehr ans Sonnenlicht, ohne zu verbrennen. Ich werde nie mehr am Tage nach draußen können … Ich werde ein Leben bei Nacht führen müssen … Für immer.“
„Es war Notwehr!“, warf Elias ein. Sein Magen schmerzte und in seiner Brust schien sich ein Loch aufzutun. „Du hattest keine
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