Blutige Küsse und schwarze Rosen
Selbsterhaltungstrieb verstoßen. Dennoch aber sah Elias nicht nur die möglichen Schwierigkeiten, die eine Reise zum See mit sich bringen würde.
„Wir haben nun also ein Ziel“, resümierte er und legte das Buch in seiner Hand zu den restlichen zurück. „Das ist doch schon einmal ein Anfang.“
„Hast du nicht zugehört? Wer auch immer dort lebt, ist vermutlich gefährlich!“ Verständnislos schüttelte Nico den Kopf. „Vielleicht sogar gefährlicher als es Elisabeth und Melchior waren. Diese Vampire, falls es denn mehrere sind, könnten …“
„Sie könnten uns vor allem helfen, den Fluch umzukehren!“ Elias wurde langsam ungeduldig. „Das ist jetzt das Wichtigste und das weißt du.“ Er sah zur Deckenöffnung, durch die inzwischen kaum noch Licht aus dem Kirchenschiff in die Krypta drang. „Es liegen etwa zehn Stunden Fahrt vor uns. Wir sollten also gleich nach Sonnenuntergang aufbrechen, damit wir morgen da sind. Und die Aufzeichnungen müssen wir mitnehmen. Sie könnten noch nützlich …“
„Ganz genau: zehn Stunden“, schnitt Nico ihm seinerseits das Wort ab. „Selbst wenn wir sofort zu Beginn der Nacht losfahren, schaffen wir es nicht, vor Sonnenaufgang anzukommen. Und sobald die Morgendämmerung einsetzt, werde ich im Auto verbrennen.“ Grüblerisch rieb er sich über den Nacken. „Es wird uns nichts anderes übrig bleiben, als den morgigen Tag in einem Hotel zu verbringen und erst morgen Nacht weiter zu fahren.“
„Dafür bleibt keine Zeit“, murmelte Elias nachdenklich, wohl wissend, dass der Einwurf seines Freundes gerechtfertigt war. „Wer weiß, wie lange man diesen Fluch umkehren kann.“ Falls man ihn umkehren kann, korrigierte eine Stimme in seinem Unterbewusstsein, die er jedoch prompt verdrängte. „Außerdem wissen wir nicht, ob die Vampire auch nach dem Fest des Sânge noch dort anzutreffen sein werden. Gegen die Sonne müssen wir uns also etwas anderes einfallen lassen.“
Als über ihren Köpfen ein entferntes Gewirr aus Stimmen und Musik anschwoll, hielt Elias inne. Es war kein tosender Lärm, sondern vielmehr ein fröhlicher, immer lauter werdender Trubel.
Das Lichterfest hatte begonnen.
„Und ich habe da sogar schon eine Idee, was.“
***
Die unzähligen kleinen Lämpchen der Lichterketten neckten Elias’ Augen auf Schritt und Tritt. Überall schmückten sie Verkaufsstände, Karusselle und Bäume mit ihren bunten Farben. Kinder hüpften und rannten mit viel zu grellen Leuchtstäben und Wunderkerzen umher und füllten selbst die kleinsten Lücken der nächtlichen Dunkelheit mit blendenden Lichtern aus. Doch all dies war im Vergleich zu dem Feuerwerk, welches um Punkt null Uhr stattfinden sollte, fast schon eine Wohltat für die empfindlichen Sinne eines neu erschaffenen Vampirs. Das wusste Elias. Schließlich hatte ihn bereits einen Tag zuvor solch ein Funkenregen zur Strecke gebracht.
Aus diesem Grund musste jetzt alles ganz schnell und vor allem reibungslos vonstattengehen.
Am Rande der Veranstaltung angelangt – dort, wo die Menschenmasse übersichtlicher wurde und die Wagen der Sanitäter und Veranstaltungstechniker für etwaige Zwischenfälle bereitstanden – spähte Elias ein letztes Mal durch die Menge zu Nico hinüber. Der stand, wie zuvor vereinbart, neben einem niedrigen Kinderkarussell und bedeutete ihm mit einem kurzen Nicken, dass es losgehen konnte. Dann wandte er sich ab.
Unter gesenkten Lidern beobachtete Elias, wie Nico sich zu der Stelle vorarbeitete, an der die Stromkabel aus einer am Boden verlegten Abdeckung in das Karussell mündeten. Mit einer Schnelligkeit, die kein menschliches Auge wahrnehmen konnte, riss er die Stromversorgung aus ihren Anschlüssen. Sofort erloschen die gleißenden Lichter des Karussells und begleitet von einem quietschenden Geräusch kamen die mit Kindern besetzten Plastikpferde und -kutschen zum Stillstand. Die Mädchen und Jungen begannen lauthals zu quengeln und vor Angst zu weinen. Sie taten Elias leid, doch war das Kappen der Stromversorgung dieses Fahrgeschäftes aufgrund seiner geringen Geschwindigkeit und Höhe die bei Weitem ungefährlichste Lösung für alle gewesen.
Als das Personal des Kassenhäuschens den Defekt bemerkte und die Veranstaltungstechniker herbeigerufen wurden, schnappten sich diese das nötige Equipment zur Behebung des Ausfalls und verließen ihre am Straßenrand geparkten Kastenwagen.
Elias wartete, bis sie in der Menschenmenge verschwunden waren. Dann eilte er zu
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