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Blutige Küsse und schwarze Rosen

Blutige Küsse und schwarze Rosen

Titel: Blutige Küsse und schwarze Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Meerling
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parkte Elias das Auto auf dem Fußpfad eines kleinen Waldes. Es war viel Geschick nötig, um den Kastenwagen unter den tief hängenden Baumkronen hindurch zu manövrieren. Doch befand Elias diesen Platz für perfekt, um hier auf den Ausklang des anstrengenden Tages zu warten. Er hielt auf einem unbewachsenen Fleckchen Erde, das völlig von der Straße abgeschirmt war, und stellte den kurzgeschlossenen Motor mit einem Handgriff ab. Anschließend angelte er sein Handy aus der Jeanstasche und wählte die Nummer seiner Eltern. Sie und Ines würden gleichermaßen durchdrehen, wenn Elias für einige Tage spurlos verschwand, ohne sich vorher abzumelden. Und wer konnte schon sagen, wie lange Nico und er fortbleiben würden?
    Glücklicherweise sprang am anderen Ende der Leitung der Anrufbeantworter an. Niemand war zu Hause und somit wurden Elias unnötige Fragen erspart, die er nicht hätte beantworten können. Kurz abgebunden sprach er auf das Band, dass er zusammen mit Nico verreist und vorerst nicht zu erreichen war. Dann legte Elias auf und schob jeden Zweifel darüber, ob er die Stimmen seiner Familie jemals wieder hören würde, beiseite.
    So weit es die dicht stehenden Bäume erlaubten, öffnete er die Fahrertür und schob sich durch den schmalen Spalt ins Freie. Im Wald herrschte eine angenehme Stille. Lediglich die Blätter, die vom Wind gestreichelt wurden, raschelten leise. Ihre satten Smaragdtöne tauchten die gesamte Luft in ein zartes Grün.
    Gedankenversunken lehnte Elias sich mit dem Rücken an die Karosserie des Autos und atmete tief durch. Es hätte ein so ruhiger Moment sein können, wäre da nicht das mulmige Gefühl in seiner Magengrube, das ihn an die Umstände dieser Reise erinnerte.
    Wehmütig dachte er an Nico. Wie es ihm wohl erst ging? Ob er jetzt schlief? Da keiner der beiden wusste, was die kommenden Tage und Nächte für sie bereithielten, zählte schließlich jede Minute, in der sie Kraftreserven tanken konnten.
    Abwägend sah Elias zum Himmel hinauf, der durch das Blätterdach nur stellenweise auszumachen war. Die Sonne schien ihren höchsten Punkt bereits verlassen zu haben, trotzdem würde sie noch einige Stunden über dem Horizont verweilen. Stunden, die für Elias’ Rücken kostbar waren. Denn obwohl dieser im Laufe der langen Autofahrt begonnen hatte sich auszukurieren, war die Anspannung während des nervenaufreibenden Halts an der Tankstelle zurückgekehrt. Vor allem die Angst davor, gesehen worden zu sein, hatte Elias ununterbrochen im Griff gehabt und sich wie eine schwere Last auf seine Schultern gelegt.
    Leise trat er an das Heck des Fahrzeugs und öffnete eine der Türen um wenige Zentimeter – gerade einmal so weit, dass er hindurchpasste. Darauf bedacht, möglichst keinen Sonnenstahl in den Laderaum dringen zu lassen, zwängte Elias sich ins Innere. Anders als erwartet, fand er Nico nicht schlafend vor. Mit angeknipster Innenraumbeleuchtung saß er auf einer der ausgebreiteten Bettdecken und las. Er war so in die Zeilen eines der Tagebücher vertieft, dass er erst aufblickte, als Elias hereinkam.
    „Sind wir etwa schon da?“ Nico wirkte verwirrt, als sei er soeben aus einer langen Trance erwacht.
    „Ja, gerade angekommen. Ich habe in einem Wald haltgemacht. Morgen müssen wir nur noch ein Stückchen fahren, um nach Cornrowl zu kommen.“ Da Elias nicht wusste, ob der Wagen von innen zu öffnen war, zog er sich kurzerhand einen Schuh aus und klemmte ihn zwischen die Hecktüren, ehe er diese schloss, soweit es die provisorische Sicherung zuließ. Seine Augen wanderten über die Bücher. „Hast du die ganze Zeit gelesen?“
    „Nein, hab lange versucht zu schlafen, konnte nur leider nicht. Also begann ich, ein wenig in den Aufzeichnungen zu blättern. Bislang habe ich jedoch nichts gefunden, das uns irgendwie von Nutzen sein könnte.“ Schulterzuckend schlug er das Buch in seinem Schoß zu und legte es weg. „Es scheint nämlich so, als sei der alleinige Sinn und Zweck dieser Niederschriften meine Verwandlung und Naivität gewesen“, fuhr er fort und lachte freudlos auf. „Die Bücher sind voll von detaillierten Beobachtungen über meine Entwicklung zum Vampir. Und voll von penibel festgehaltenen Plänen und Schritten, wie die beiden mein Vertrauen gewinnen.“
    Die bedrückende Leere, die Nicos Miene zeichnete, versetzte Elias einen Stich ins Herz. Es musste unerträglich sein, Beobachtungen anderer über sich selbst zu lesen – und noch unerträglicher, wenn man diesen

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