Blutige Küsse und schwarze Rosen
einem der stehen gelassenen Fahrzeuge, wo er erleichtert feststellte, dass die Beifahrertür nur angelehnt war und er sich das Aufbrechen ersparen konnte. Aber mehr Glück sollte ihm vorerst nicht widerfahren: Ein Blick durchs Innere der dreisitzigen Fahrerkabine, die von dem Laderaum durch eine Trennwand abgeschirmt war, verriet, dass der Autoschlüssel weder im Zündschloss steckte, noch irgendwo anders im Wagen zu finden war. Eine Situation, mit der Elias bereits gerechnet hatte.
Nachdem er die offenstehenden Hecktüren zugeschlagen und auf dem Fahrersitz Platz genommen hatte, rüttelte er an der Verdeckung unterhalb des Lenkrads, bis das Plastik unter dem Kraftaufwand zersprang und die dahinter verborgene Elektronik freigab. Obwohl Elias noch nie ein Auto kurzgeschlossen hatte, war ihm das theoretische Vorgehen bekannt. Wahllos verband er verschiedene Kabel miteinander, bis endlich die Kontrolllampen des Tachos aufleuchteten. Anschließend musste nur noch der Anlasser herangeführt werden und der Motor dröhnte mit einem klappernden Geräusch auf – übertönt allein von der Musik der Veranstaltung.
Langsam und darauf bedacht, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, lenkte Elias das Auto aus der Menge heraus und in Richtung des Wohnviertels. Nur vereinzelt sahen Menschen dem davonfahrenden Wagen nach, da ihr ganzes Interesse der Festlichkeit und seinen Attraktionen galt. Doch wagte Elias erst durchzuatmen, als er es bis zu seinem Wohnhaus geschafft hatte, wo Nico bereits auf ihn wartete.
„Wir müssen uns beeilen“, rief der, noch ehe Elias ausgestiegen war. „Wenn jemand das Verschwinden des Fahrzeugs bemerkt …“
„Dann sind wir längst weg!“, versicherte Elias beruhigend und begann damit, die am Straßenrand abgelegten Aufzeichnungen in den fensterlosen Laderaum zu stapeln, während sein Freund Flaschen mit Blut sowie Bettdecken und Kissen darin verstaute.
Das wenige Blut, das noch in der Krypta zur Verfügung gestanden hatte, und die Bücher hatten sie vor dem Gang zum Lichterfest aus der Kirche hierher gebracht. So war kein Umweg zum Friedhof nötig, der das Risiko erhöht hätte, dass der gestohlene Wagen von Besuchern der nahegelegenen Veranstaltung gesichtet werden konnte. Je schneller sie aus dieser und den angrenzenden Städten verschwunden waren, desto besser.
Nachdem alles im hinteren Teil des Autos eingeladen war, setzte sich Nico ans Steuer und Elias stieg neben ihn auf den Beifahrersitz.
Als sich der Wagen rührte, spürte er einen dumpfen Schmerz in seiner Magengrube. Es war ein seltsames Gefühl, das Haus, in dem er lebte, durch den Seitenspiegel immer kleiner werden zu sehen, bis es endgültig hinter einer Kurve verschwand. Denn Elias wusste nicht, ob er es so bald wiedersehen würde.
Kapitel 14
S CHWÄRZE
Das gleichmäßige Dröhnen des Motors übte zusammen mit der tiefschwarzen Nacht eine eigenartige Entspannung auf Elias aus. Es betäubte die zahllosen Gedanken, die seit Stunden seinen Kopf vereinnahmt hatten und sorgte gleichzeitig dafür, dass er wach blieb. Den Blick aus dem Beifahrerfenster gerichtet, sah er stumm zum Himmel hinauf, an dem sich keine einzige Wolke zeigte. Die Sterne schienen hier, fernab der nächsten Wohnsiedlung, noch viel heller zu leuchten, als sonst.
„Wir werden irgendwann eine neue Ladung Sprit brauchen“, meinte Nico plötzlich. „Der Wagen war zwar fast vollgetankt, aber den ganzen Weg bringen wir damit nicht hinter uns. Hoffentlich schafft diese alte Kiste die zehn Stunden Fahrt nach Cornrowl überhaupt. Klingt nämlich so, als zerfiele sie gleich in ihre Einzelteile!“ Er warf Elias ein flüchtiges Grinsen zu, das jedoch leicht als nervöse Geste zu enttarnen war.
„Es wird alles gut gehen“, antwortete Elias auf die nicht ausgesprochenen Sorgen. „Wir wissen, wo wir nach den Vampiren suchen müssen, und der Rest wird sich schon irgendwie ergeben.“
„Und wenn nicht?“ Nico seufzte und legte die gespielte Unbekümmertheit ab. Seine Stimme war nur noch ein Flüstern, das beinahe im Motorlärm unterging. „Was, wenn sie uns nicht helfen können oder es schlichtweg nicht wollen? Warum sollten sie auch? Was hätten sie davon?“
„Wir könnten ihnen eine Gegenleistung bieten. Ich schätze, dass dieses Buch, in dem die Opferung beschrieben wird, für viele Vampire von großem Wert ist. Darin stehen mit Sicherheit noch weitere Rituale oder ähnliches – vielleicht geheimes – Wissen, das die gegen ihre Hilfe eintauschen
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