Blutige Küsse und schwarze Rosen
war ein Mann, dessen Schulter ausgerenkt schien. Er hatte ausgetrocknete, runzlige Lippen, die an mehreren Stellen aufgeplatzt waren, und kaum noch einen Zahn im Mund. Seine kleinen, gebrechlichen Schritte führten ihn Zentimeter um Zentimeter an Elias heran, den der Schock völlig gelähmt hatte. Erst die Ketten, mit denen der Mann gefesselt war, hielten ihn zurück und ließen den ausgezehrten Körper zu Boden gehen.
„Dieser Mensch ist und bleibt mir ein Rätsel.“
Elias erstarrte. Er hatte niemanden kommen hören.
„Trotz der starken Ornamentsprache versucht er wieder und wieder zu flüchten … Es ist erstaunlich, findest du nicht?“
Sânges Stimme war besorgniserregend ruhig und trieb Elias eine Eiseskälte über das Rückenmark.
„Was zur Hölle ist das hier?“, wollte er atemlos wissen. Er konnte seine Augen nicht von dem am Boden zusammengerollten Mann abwenden.
„Unser Vieh, wenn du es so nennen möchtest. Ewig lebende Menschen. Oder glaubst du tatsächlich, das bei den Festen gewonnene Blut reicht für all meine Untertanen?“ Sânge klang beinahe stolz, als er fortfuhr: „Sobald das einbehaltene Blut knapp wird – und dies geschieht äußerst schnell –, greifen wir auf das unserer Menschen hier zurück. Es mag einen etwas eigenwilligen Geschmack haben, da die Ornamentsprache ihre Seelen betäubt, die sie bedauerlicherweise zur Produktion des Blutes benötigen. Doch durch die fast artgerechte Haltung und die angewandte Magie ist immer genug davon vorhanden.“
Eine Welle der Abscheu schüttelte Elias und ließ ihn benommen nach hinten taumeln, wo er gegen die kalte Steinwand prallte und sich Halt suchend an sie drückte. Die kläglichen Gestalten im Rücken sah Sânge ihn an.
„Dies alles war nicht für deine Augen gedacht …“, sinnierte er. „Selbst meine Untertanen haben hiervon keine Ahnung, da ich voll und ganz kontrollieren kann, worüber sie sich Gedanken machen und was sie stumpf hinnehmen. Nur was machen wir jetzt mit dir, hm? Deine Erinnerungen löschen? Dich bestrafen?“
Noch ehe Elias etwas entgegnen konnte, waren heraneilende Schritte aus dem Korridor zu hören.
Nico, schoss es ihm durch den Kopf. Er war ihm endlich gefolgt, hatte seine Not gespürt und war gekommen! Nico hatte ihn nicht im Stich gelassen!
„Was meinst du, Liebes? Was soll nun aus ihm werden?“
Bestürzt schaute Elias zur Tür auf, durch dessen Rahmen sich aber nicht sein Freund ins Zimmer schob.
„Liegt das nicht auf der Hand?“, fragte Apollinea und erwiderte seinen Blick verächtlich. „Er schnüffelt hier herum, sieht Dinge, die nur für uns zwei bestimmt sind.“ Wie eine Katze schlich sie um Sânge und legte ihm von hinten die Arme um die Taille. „Es ist zu riskant, den Bengel laufen zu lassen“, raunte sie ihm ins Ohr. „Wenn die anderen erfahren, wo das Blut herstammt, droht unsere gesamte Existenz zu zerfallen, Liebling. Deine Gutmütigkeit verdient er nicht. Er muss für seine Dreistigkeit Buße tun. Wir müssen ihn loswerden … ihn und seinen Freund.“
Sânge hielt einen Moment lang inne, schien über den Vorschlag seiner Gefährtin nachzudenken. Dabei war dieses Schweigen unerträglicher als Apollineas Worte. Elias’ Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt, sein Atem ging flach und stoßweise. Er wusste, dass jeder Fluchtversuch zum Scheitern verurteilt war. Auf Sânges Kommando hin würden sich alle Mitglieder des Zirkels gegen ihn stellen. Elias würde es nicht einmal bis nach draußen schaffen.
„Es ist wahrhaftig bemerkenswert, wie er überhaupt hierher gelangen konnte“, meinte Sânge schließlich, „wo doch sowohl das Tor als auch der Zugang zu diesem Zimmer verschlossen waren. Findest du nicht?“
Ein Anflug von Zorn zuckte durch das Gesicht der Vampirin, war allerdings innerhalb von Sekundenbruchteilen wieder verschwunden.
„Bitte verzeih, es war ein Versäumnis meinerseits“, erklärte sie mit schwacher, reumütiger Stimme. „Ich dachte nicht daran, dass wir Besuch von Fremden haben. Und unsere treuen Untertanen würden es niemals wagen, unseren Trakt zu betreten.“ Apollinea stellte sich vor Sânge und flehte ihn regelrecht an. „Es war ein schreckliches Versehen, bitte vergib mir. Trotzdem ändert dies nichts daran, dass er herumschnüffelte und nun Bescheid weiß! Er muss selbstverständlich sühnen und …“
„Du warst es, die mich hierher geschickt hat!“, rechtfertigte sich Elias hastig. „Du hast gesagt, Sânge würde hier auf mich
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