Blutige Küsse und schwarze Rosen
seiner Brust sah Elias an sich herab. Seine Wunde war beinahe vollkommen verheilt. Nur feine, weiße Striemen auf seiner Haut erinnerten noch an sie. Wie lange hatte er wohl geschlafen?
„Bald gehören selbst die verbliebenen Narben der Vergangenheit an, dafür habe ich Sorge getragen. Du brauchst mir nicht danken.“
Erst als Elias aufblickte, bemerkte er, dass er sich nicht in seinem Gästezimmer befand. Er erkannte Sânge, der vor den geöffneten Spiegeltüren des Schranks stand und gerade eine schwarze Stoffhose hervorholte. Seine Reflektion musterte ihn eindringlich.
„Hier, die wird dir passen.“
Elias fing das ihm zugeworfene Kleidungsstück auf, benötigte jedoch einen weiteren Augenblick, um sich zu ordnen und zu verstehen, was er überhaupt damit sollte. Dann kehrten auch die restlichen Erinnerungen zurück und ihm wurde bewusst, dass er unter der Decke völlig nackt war.
Eine Mischung aus Wut und Abscheu überkam ihn. Die Vorstellung, dass Sânge ihn angefasst und gewaschen hatte, ließ ihn bitter aufstoßen. Sânge hatte seinen ohnmächtigen Leib gebadet und zu Bett gebracht. Hatte über ihn geherrscht, nachdem er ihn jeglicher Kontrolle beraubt hatte …
Übelkeit schüttelte Elias.
„Was hast du mit mir gemacht?“, fragte er mit brüchiger Stimme und ohne sich sicher zu sein, ob er darauf tatsächlich eine Antwort erhalten wollte.
„Dich vom Gestank des Todes befreit und deine Verletzung versorgt!“ Sânge hatte die Stimme erhoben. Er klang äußerst zornig über die unausgesprochenen Vorwürfe. „Vergiss ja nicht, dass ich ein Ehrenmann bin! Ich habe dich zu keiner Zeit unsittlich berührt.“ Er betrachtete den nur vom Satin verhüllten Körper. „Und jetzt zieh dich an. Oder gedenkst du, mich mit deinen Reizen auf den Prüfstand zu stellen?“
Eilig schob Elias die Hose unter die Decke und zerrte sich den Stoff über die Beine. Aber kaum, dass er den Reißverschluss zugezogen hatte, befahl ihm Sânge mit erhobener Hand, still zu sein. Sein Blick lag wie gebannt auf der lederbezogenen Tür.
Das war der Moment, in dem auch Elias die Schritte hörte – und diese Ablenkung nutzte.
Noch ehe Sânge reagieren konnte, hatte er sich auf die verschlossene Tür und aus dem Raum gestürzt. Während Elias die wenigen Meter zum Eisentor zurücklegte, welches das Zimmer sowie die angrenzende Kammer vom Rest der unterirdischen Gänge abriegelte, spielte sich in seinem Kopf wieder und wieder derselbe Film ab. Er müsste es bis zum Ausgang schaffen … Dieser war das Ziel, könnte Elias’ Rettung sein. Wenn die Sonne noch am Himmel stand, würde Sânge ihm nicht folgen. Und mit sehr viel Glück wäre Elias bei Nico am Wagen, ehe Sânge seine Anhänger auf sie hetzen konnte. Dann waren Nico und er frei und konnten gemeinsam fliehen … Er müsste es bloß bis zum Ausgang schaffen …
Von diesem Gedanken beflügelt, passierte Elias das Bogentor und sprintete den Korridor in Richtung der Eingangshalle entlang. Er spürte Sânges Gegenwart direkt hinter sich. Spürte, wie dieser Energiestöße nach ihm sandte und wie diese gewaltigen Wellen ihn nur knapp verfehlten. Einer der Machthiebe prallte gegen das Ölgemälde der Nalmiha, welches Elias gerade erreichte, und es fiel laut krachend von der Wand, woraufhin der Messingrahmen zerbrach. Sânge fluchte wutentbrannt und die Luft um Elias herum flirrte.
Doch es war etwas anderes, das seine Beine von einem Moment auf den anderen unter ihm einsacken und Elias zu Boden gehen ließ.
Vor sich sah er Naferia den Flur entlang- und ihm entgegenlaufen. In den Armen trug sie einen schlaff herabhängenden Körper, dessen Gliedmaße im Rhythmus ihrer schnellen Schritte hin und her schwangen. Die Hände sowie das Gesicht des Vampirs waren mit Brandnarben bedeckt. Nichts deutete darauf hin, dass in diesem Leib noch ein Fünkchen Leben steckte.
„Sânge!“, rief Naferia schon von Weitem. „Sânge, als ich rausging, fand ich ihn draußen am See! Er muss zu uns gewollt haben! Dabei stand die Sonne längst am Himmel! Er ist völlig … völlig …“
Schluchzend legte sie den Verwundeten vor Elias ab, dem bei seinem Anblick kurz schwarz vor Augen wurde.
„Nico …“, hauchte er benommen und bettete dessen Kopf vorsichtig auf seine Oberschenkel. Er wollte ihn umarmen, ihn festhalten. Aber er wagte nicht, seinen Freund unnötig zu bewegen.
Nicos gesamtes Gesicht war übersät von schwarzen und roten Flecken. Einige Stellen waren bereits bis auf die Knochen
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