Blutige Rosen
Begegnung in der Schweiz hätte ich dir gern einen Blumenstrauß überreicht. Nun bekommst du ihn sogar zum zweitenmal, da der erste seine Wirkung nicht voll erzielt hat.«
In Jane erwachte auch wieder die berufliche Neugierde. Während sie behutsam den rechten Arm anhob und mit der Astra in den Mittelgang zielte, fragte sie: »Warum das alles? Was haben diese schrecklichen Blumen zu bedeuten?«
»Sie sind der großen Wikka zur Ehre gewachsen. Ein jahrhundertealter Fluch hat sich erfüllt, denn die Menschen waren so arrogant zu glauben, dass sie die Hexen vernichtet hätten. Das stimmt nicht. Man kann sie nicht töten, wenn sie sich einmal dem Teufel verschrieben haben. Auch ich habe mich dem Teufel verschworen, ich weiß, wie gut es ist, auf seiner Seite zu stehen. Diese Blumen, in die der Geist der getöteten Hexen und all der anderen gefangenen Seelen gefahren ist, sind der Schlüssel zu unserem Sieg. Hunderte stehen hier, und jede einzelne ist magisch aufgeladen. Sie werden ihr Blut ausspeien, um sich danach zu verwandeln. Zahlreiche Helfer warten darauf, die Blumen in London zu verschenken. Die Menschen werden sich freuen, aber danach wird es für sie das böse Erwachen geben.«
»Wer verteilt die Blumen? Etwa die Weißen Engel?«
»Ja, genau sie. Denn einer von ihnen steht auf unserer Seite. Er hat die Zeichen genau erkannt. Es ist der Sohn des Gärtnerei-Besitzers, und er weiß, was er dem Teufel und uns alles schuldig ist, darauf kannst du dich verlassen.«
»Wo ist er jetzt?« fragte Jane, die mittlerweile immer klarer in diesem verzwickten Fall sah.
»Ganz in der Nähe. Hast du schon von dem Hexenturm gehört?«
Und ob. Jane erinnerte sich an das Gespräch mit den beiden Dörflern. Sie hatten sie gewarnt und den Hexenturm als äußerst gefährlich eingestuft. Wie es schien, hatten sie sich nicht getäuscht. Im Hexenturm würde die Vergangenheit wieder lebendig werden und grausame magische Riten wahre Urstände feiern. Eine schlimme Vorstellung.
»Du sagst ja nichts«, meinte Schreiber.
»Ja, ich habe von dem Hexenturm gehört«, erwiderte Jane. »Aber er steht leer.«
Da lachte der andere. »Sicher, so erzählt man sich. Du wirst auch keinen sehen, wenn du ihn betrittst. Doch in seinem Innern ist alles anders. In den Steinen wohnen und lauern sie. Dort halten sich die Seelen der Hexen verborgen. Da sind sie hineingepresst worden und warten darauf, wieder befreit zu werden.«
»Und das wird heute sein?«
»Noch in dieser Nacht. Wenn die Tageswende anbricht, werden auch die Seelen befreit, und sie beginnen mit ihrem schaurigen Sabbat. Niemand kann ihnen entkommen. Sie werden sich die jungen Leute vornehmen und sie zu ihren Dienern machen, und Wikka, die oberste aller Hexen, steht dabei und schaut zu, damit sie ihren großen Triumph erleben kann.«
Jane ließ den Mann reden. Sie hörte zwar genau zu, gleichzeitig sann sie über einen Ausweg aus diesem Dilemma nach. Wenn sie schon nicht durch eine Tür hinauskam, dann musste ihr etwas anderes einfallen. Zudem befand sie sich ja nicht in einem zugemauerten Gefängnis, sondern in einem gläsernen Treibhaus.
Das Wort gläsern bekam plötzlich für sie eine völlig andere Bedeutung. Da musste sich etwas machen lassen. Das Glas eines Treibhauses war zwar sehr stabil, ob es allerdings einem schweren Wurfgeschoss standhalten würde, war wirklich die große Frage. Nur woher nehmen und nicht stehlen?
Janes Blicke gingen wieder auf Wanderschaft. Dann sah sie das Gewehr. Allerdings lag es ungünstig. Sein Lauf zeigte genau in den Mittelgang. Wenn sie es an sich nahm und er dann verschwand, würde Schreiber das sicherlich bemerken.
Gab es noch ein zweites Wurfgeschoss?
Jane hatte Glück. Sie entdeckte den Hocker, wobei sie nicht wusste, dass er es gewesen war, den sich Victor für seine Nachtwache ausgesucht hatte. Dieses kleine Sitzmöbel kam der Detektivin sehr entgegen. Es war zwar nicht groß, sah allerdings sehr stabil aus und würde sicherlich, wenn es mit Wucht geschleudert wurde, auch das Glas zerstören.
Hoffentlich bekam sie den Hocker nur früh genug zwischen die Finger, bevor Schreiber eingriff. Deshalb musste sie ihn ablenken und sagte:
»Was wollen Sie denn mit mir anstellen?«
»Dich, Jane Collins, hat Wikka mir überlassen. Die Sache hier ist ein Kampf zwischen uns beiden. Wikka hält sich da raus. Als Dank dafür werde ich dich der Hexe übergeben, und zwar als herrliche duftende Rose, aus der irgendwann das Blut quillt, damit die
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