Blutige Seilfahrt im Warndt
»Nur musst du dich beeilen, bevor sie es schließen. Für so was gibt es kein Geld mehr.«
»Schade! Aber wie sagt Peter Müller so schön: ›Hauptsach gudd gess‹«, spottete Anke.
Das erinnerte Kullmann daran, dass er Hunger hatte. Schnell aß er von den deftigen Klößen in Specksoße und lobte ausgiebig Marthas gutes Essen.
»Nun erzähl schon, wie es war«, drängte Anke. »So wie du aussiehst, warst du nicht nur im Erlebnisbergwerk, sondern auch ganz unten.«
Kullmann nickte, wischte sich mit der Serviette über das Kinn und begann zu erzählen, welche Eindrücke er in der Tiefe und in diesen engen Gängen gewonnen hatte. »Ihr werdet es nicht glauben«, schloss er, » aber ich bin wesentlich besser dort unten zurechtgekommen als Jürgen. Der hat nämlich ganz schön mit Klaustrophobie zu kämpfen.«
Anke lachte und meinte: »Du bist einfach ein Tausendsassa.«
»Und ein ewiges Kind«, fügte Martha tadelnd an.
Nach dem Essen setzten sich Anke und ihr ehemaliger Chef und Mentor ins Wohnzimmer, wo Kullmann im Kamin ein Feuer entfachte, damit gemütliche Wärme entstand. Martha blieb mit Lisa in der Küche, wo sie sich von Lisa die Funktionen eines i-Pad erklären ließ.
Als das Feuer endlich Wärme spendete, sank Kullmann in seinen Sessel zurück, zündete sich eine Pfeife an und begann von seiner Expedition ins Reich der Tiefe zu berichten.
Als er endete, resümierte Anke: »Das bedeutet also, dass diese beiden Männer nicht bei dem Unglück ums Leben gekommen sind.«
»Richtig! Ohne die Leiche wäre niemals herausgekommen, dass dort unten etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen ist.« Kullmann nickte.
»Und nicht nur das«, tat Anke geheimnisvoll.
Neugierig horchte Kullmann auf.
Anke berichtete, dass allen tödlichen Unfällen der Bergmänner Einbrüche in deren Häuser vorausgegangen waren, die sie nicht gemeldet hatten, weil angeblich nichts gestohlen worden war.
Kullmann hielt beim Paffen inne. Anke stutzte.
»Wenn dir etwas gestohlen wird, das du ohnehin nicht besitzen darfst, meldest du es nicht.«
Sie trafen sich auf dem Grubengelände in Velsen. Von dort aus wollte Anton Grewe die Fahrt zur Landespolizeiinspektion übernehmen. Als Fahrer des Wagens konnte er einen Grund vorgeben, warum er sich an keinem Gespräch beteiligen wollte. Die beiden Auszubildenden Kevin und Bruno waren total aufgeregt. Für sie war das alles ein großes Abenteuer. Nur Grewe fühlte sich wie auf glühenden Kohlen. Ständig stellte er sich die quälende Frage, ob er seinen Undercovereinsatz schon gleich am ersten Tage versiebt hatte. Seine Weigerung, eine Anweisung des Steigers auszuführen, stand in keinem guten Licht. Egal, was dabei herausgekommen war. Seine Kollegen bei der Polizei könnten ihm vorwerfen, seine Tarnung riskiert zu haben, während die Kameraden Verdacht schöpfen könnten, dass er nicht derjenige war, der er vorgab zu sein.
Er hatte alles richtig machen wollen, dabei war ihm schon gleich am allerersten Tag alles entglitten.
Auf eine Leiche zu stoßen, gehörte vielleicht zu seinem Job als Kriminalbeamter. Aber nicht zur Maloche des Bergmanns, in dessen Funktion er unterwegs gewesen war.
»Du kennst dich ja gut aus«, staunte plötzlich Kevin, als Grewe an der Hellwigstraße abbog und das große Polizeigebäude ansteuerte.
Schon wieder fühlte sich Grewe ertappt. Hastig sagte er: »Ich habe mich gestern informiert, wo ich hinfahren muss.«
»Klar!«, wiegelte Kevin ab. »Ist wohl nicht gerade alltäglich, unter Tage auf eine Leiche zu stoßen.«
»Hatte ich noch nicht«, meinte Grewe mehr als ehrlich.
»Unsere Lehrzeit fängt schon gleich mit einem richtigen Abenteuer an.« Bruno lachte. »Wenn nur die Polizei nicht wär.« Er hielt inne und fügte an: »Was die wohl von uns wissen wollen?«
Grewe zuckte mit den Schultern und stellte den Wagen auf einem Schotterparkplatz ab.
»Lassen wir uns überraschen«, meinte er und stieg aus.
Doch schon nach wenigen Metern spürte er die erste Hürde auf sich zukommen. Wusste der Beamte am Pförtnerhaus Bescheid, dass er ihn nicht wie einen guten Bekannten begrüßen sollte? Seine Schritte wurden immer zögerlicher, bis Kevin und Bruno es bemerkten.
»Hey! Was ist los?«, fragte Kevin.
»Schiss?«, fragte Bruno.
»Quatsch«, wiegelte Grewe ab. »Wir sollen doch nur unsere Aussage machen.«
Er beschleunigte seinen Gang, um seine Worte damit überzeugender wirken zu lassen. Trotzdem stieg sein Adrenalinspiegel, als er auf den runden
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