Blutige Seilfahrt im Warndt
schon gefährlich, Grewe überhaupt unter Tage zu schicken. Doch jetzt, nachdem er gleich am ersten Tag über eine Leiche gestolpert ist, wird es noch gefährlicher. Niemand wird ihm mehr dort unten glauben, dass er einfach nur ein Bergmann ist.«
»Blödsinn«, wehrte Schnur ab. »Er war doch nicht allein, als er auf den Toten gestoßen ist. Entweder alle drei werden verdächtigt oder keiner.«
Ann-Kathrin setzte sich auf den Stuhl neben Grewe, schaute den Beamten an und sagte: »Wie fühlen Sie sich dabei, in tausend Metern Tiefe sich selbst überlassen zu sein?«
Grewe schluckte. Dass sie ihn direkt ansprach – damit hatte er nicht gerechnet. Und dass er sich in der Tat von seinen Pseudo-Kameraden durchleuchtet fühlte, wollte er vor Schnur nicht zugeben. Er hatte sich vorgenommen, seinem Chef zu beweisen, dass er ein guter Polizeibeamter war, und jetzt war die Gelegenheit dazu. Also sagte er: »Ich fühle mich wieder wie damals, als ich noch Bergmann war. Die Welt dort unten ist die gleiche geblieben.«
»Und wie war die Stimmung, als Sie sich Ihrem Steiger einfach widersetzt und die Tür aufgebrochen haben, hinter der ein lange Vermisster lag?«
»Naja. Remmark ist ein aufbrausender Mensch. Das war er schon immer. Er hat uns alle drei angeschrien, als seien wir dumme Schuljungen, die er bei einem Streich erwischt hat.«
»Und weiter«, drängte die Staatsanwältin.
»Mehr kann ich darüber noch nicht sagen. Ich fahre erst nach unserem Gespräch wieder unter Tage. Zusammen mit den Auszubildenden. Dann werde ich feststellen, ob die Stimmung dort unten umgeschlagen ist oder nicht.«
»Trauen Sie sich das zu?«
»Auf jeden Fall«, gab sich Grewe standhafter, als er sich fühlte. »Diese Jungs sind Kameraden und keine Verbrecher.«
»Ich hoffe, Sie haben recht mit dieser Behauptung.«
Michael Bonhoff spürte, wie sich in seiner Partie etwas zusammenbraute. Verstohlene Blicke wurden hinter seinem Rücken gewechselt. Hinzu kam die Verschwiegenheit in seiner Anwesenheit. Wie er das hasste! Immer von allen und allem ausgeschlossen zu sein. Aber hatte er es dieses Mal nicht selbst verschuldet? Vielleicht war jemand dahinter gekommen, dass er zur Polizei gegangen war. Oder jemand ahnte, dass Anton Grewe kein ehrliches Spiel spielte. Aber warum sollten sie ihn deshalb ausschließen? Trauten sie ihm zu, mit Grewe zusammenzuarbeiten?
Allerdings war die Entdeckung eines lange Vermissten schon gleich am ersten Tag nicht gerade ein Glücksfall. Damit hatte Grewe mehr Fragen aufgeworfen, als gut für seine Rolle als Maulwurf war. Denn erstaunlicherweise schien sich niemand darüber zu freuen, dass einer der beiden Männer, die vor elf Jahren verschwunden waren, endlich aufgetaucht war. Das Gegenteil war der Fall. Alle wirkten wie versteinert.
Noch wusste er nicht, welcher der beiden in diesem verlassenen Streb gelegen hatte. Aber es war ihm klar, dass es sich entweder um Karl Fechter oder um Winfried Bode handeln musste. Das Verhalten seiner Kameraden ließ Bonhoff vermuten, dass sie weder den einen noch den anderen jemals wiederfinden wollten. Eine Feststellung, die ihn erschauern ließ.
Immer wieder schaute sich Bonhoff um, in der Hoffnung, dass Grewe endlich zurückkehrte. Je länger er fortblieb, umso mehr staute sich hier unten die Spannung an. Da wäre ihm ein echter Kamerad an seiner Seite ganz recht. Nur: Wusste Bonhoff überhaupt, ob Grewe wirklich auf seiner Seite stand? Sein Verhalten vor zwanzig Jahren, sein plötzliches Verschwinden aus Bonhoffs Leben, das war ziemlich hart für ihn gewesen. Er hatte immer geglaubt, in Grewe einen echten Freund gefunden zu haben. Doch er hatte sich damals getäuscht. Hinzu kam, dass Grewe nicht freiwillig als Bergmann zurückgekehrt war. Er verfolgte andere Ziele. Er hatte dem simplen Bergbauberuf den Rücken gekehrt, um in den Beamtenstatus bei der Polizei zu wechseln. Dann sollte er mal beweisen, was in ihm steckte.
»Hast du gewusst, dass Tony wieder zu uns zurückkommt?«, schallte plötzlich eine Frage ganz dicht an Bonhoffs Ohr.
Erschrocken drehte er sich um und schaute in das Gesicht des Steigers Georg Remmark.
»Nein! Warum?«
»Ihr seid doch damals immer zusammen herumgehangen.«
»Wir hingen nicht herum, wir haben zusammen gearbeitet«, stellte Bonhoff klar.
»Von mir aus. Habt ihr den Kontakt gehalten, als er angeblich auf den Pütt gegangen ist?«
»Angeblich?« Bonhoff stutzte. Sofort fand er bestätigt, was er geahnt hatte. Die Kameraden
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