Blutige Seilfahrt im Warndt
sei.«
»Das ist ja interessant«, staunte Schnur. »Ich hatte wohl den richtigen Riecher mit meiner Vermutung, dass diese Fälle alle miteinander zusammenhängen.«
»Die vermuteten Banküberfälle kommen schon mal nicht in Frage.« Andrea seufzte.
»Es ist auch schwer zu glauben, dass alle zwei Jahre ein Banküberfall stattgefunden haben soll und keiner konnte den Fall aufklären«, stellte Schnur fest.
»Hat es alles schon gegeben«, murrte Andrea, die diesen Einfall gehabt hatte.
»Der Gedanke war wirklich gut«, gab Schnur nach und rieb sich über sein Kinn. Er zuckte zusammen, als hätte er einen Stromschlag bekommen. Wieder fuhr er darüber, bis er sich sicher war, dass die Bartstoppeln zu spüren waren.
»Außerdem hätten wir dann einen Grund, offiziell zu ermitteln«, fügte Andrea an und tat dabei so, als hätte sie Schnurs Reaktion nicht bemerkt.
»Wenn sie sich jedoch auf illegale Weise das Geld unter Tage beschaffen, muss unser Mann das herausfinden«, sprach Schnur weiter. »Wir müssen ihn über unseren Verdacht informieren.«
»Ist es nicht ohnehin schon gefährlich genug für Anton?«
Schnur schaute Andrea eine Weile prüfend an, bis er zugab: »Diese Diskussion hatte ich schon mit der Staatsanwältin. Sie macht mir das Leben zu Hölle, weil ich Anton einer großen Gefahr aussetze.«
»Nur deshalb?«
Verwundert schaute Schnur die Mitarbeiterin an. Ein verschmitztes Grinsen machte sich auf ihrem Gesicht breit, eine Belustigung, die ihn ärgerte.
»Was willst du damit sagen?«, fragte er mürrisch.
»Dass es die Spatzen von den Dächern pfeifen!«
Schnur stieß die angehaltene Luft aus. Sein Gesicht färbte sich rot. Er hatte alles versucht, damit nichts herauskommen sollte. Aber das war ihm offenbar nicht gelungen. Vermutlich redeten alle schon lange hinter seinem Rücken über ihn und nun amüsierten sie sich auch noch auf seine Kosten. Aber was hatte er erwartet? Er arbeitete mit guten Spürnasen zusammen, Ermittler, denen nichts entging. Da war es nur natürlich, dass sie auch Dinge herausfanden, die sie nichts angingen.
»Okay! Beschränken wir uns auf das Dienstliche«, blockte er einfach ab.
Doch Andreas Grinsen wich nicht aus ihrem Gesicht.
»Warum grinst du so? Ist es so amüsant, dass ich Probleme habe?« Schnur fühlte sich unwohl.
»Ach was!« Sie winkte ab. »Ich dachte mir nur gerade: Wenn zwei sich streiten …«
Schnur erschrak. Das Lächeln in Andreas Gesicht wirkte plötzlich nicht mehr offen in seinen Augen, sondern dämonisch. Welche Gedanken spielten sich hinter ihrer hübschen Stirn ab? Obwohl … Wieder rieb er sich über sein Kinn. Es wäre wohl besser, wenn er es nicht wusste. Also lenkte er mit seiner Frage ab: »Hast du wenigstens etwas über Lösegeldforderungen herausgefunden?«
»Da bin ich noch dran.«
Die ungewohnte Zeit, zu der Grewe zusammen mit den Auszubildenden in die Tiefe fuhr, machte sich auf der Zugfahrt und in der anschließenden Kulibahn bemerkbar. Sie waren allein und hatten ungewöhnlich viel Platz. Während die jungen Männer ständig über ihre neue Erfahrung mit der Polizei redeten, schaute sich Grewe die dunklen Gänge an und die Streckenabzweige, die sie passierten. Einerseits beeindruckte ihn die Abgeschiedenheit, die Finsternis, die Andersartigkeit – all das war mit diesem Job verbunden. Und löste vermutlich in allen Bergmännern die gleiche Faszination aus. Auch die Arbeit des Kohleabbaus war eine Einzigartigkeit, von der die Menschen über Tage keine Vorstellung hatten. Das Bedienen des Walzenschrämladers. Das Nachrücken der Schilde, um die Streb zu sichern. Die Gefahr, die vom Alten Mann ausging, der sich in unmittelbarer Nähe befand. Ständig dieser Gefahr ausgesetzt zu sein und dabei das Leben und die Arbeit mit Herz und Seele lieben. Das war ein Balanceakt, der einen besonderen Reiz ausübte.
Andererseits hatte seine Homosexualität damals wie heute eine Barriere zwischen ihm und dem Leben unter Tage mit den Bergmännern geschaffen. Es war ihm nie gelungen, offen dazu zu stehen. Ob er sich damit das Leben nur unnötig schwer gemacht hatte, oder ob ein Outing am Ende alles verschlimmert hätte? Er wusste es nicht. Und nach so vielen Jahren wollte er es auch nicht mehr herausfinden. Er hatte sich für ein Leben über Tage entschieden, für einen Job, der ebenfalls interessante Ansprüche stellte, wenn er auch nicht ganz so mystisch und legendär war wie der Bergmannsberuf. Doch das, was er jetzt tat, war nicht nur
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