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Blutige Spuren

Blutige Spuren

Titel: Blutige Spuren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Liemann
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Seelenfrieden seines Bewohners gestört hätte.

7
    Sternenberg ging zu den Bushaltestellen vor dem Rathaus Spandau. Als er die hintereinandergereihten Haltesäulen betrachtete, die Leute, die Pläne und Fahrzeiten studierten, die auf die Armbanduhr oder die Turmuhr blickten, rauchten oder vor sich hin starrten, streckte er den Arm vor und hielt ein Taxi an. Den Fahrer, einen Iraker, musste er in Staaken zum Finkenkruger Weg lotsen.
    Rolf Korbmann wohnte in einem der niedrigen Reihenhäuser der in den Zwanzigerjahren gebauten Gartenstadt. Als er ihn das letzte Mal besucht hatte, war es heiß gewesen, drückend, der Ventilator war beinahe in Brand geraten.
    » Komm rein. Ich bin längst nicht fertig. «
    » Ich hab’ einen Bärenhunger « , tönte Sternenberg und grinste listig.
    » Ich konnte ja nun nichts mehr einkaufen. Dennoch habe ich was vorbereitet. «
    Sternenberg steckte seinen Kopf – aber eigentlich nur die Nase – in die Küche seines Freundes. Es roch noch nicht. » Das ist doch Rosenkohl? « , erkundigte er sich, als er das Gemüse erspähte.
    » Hm? Was ist? Du siehst aus, als hätte ich dir deine Henkersmahlzeit angekündigt. Du magst keinen Rosenkohl? «
    » Hat ja keinen Zweck, es zu leugnen, oder? «
    » Jetzt pass mal auf. Ich nehme an, du musstest als Kind Eintopf mit bitterem, zerkochtem Rosenkohl in dich hineinlöffeln? Wahrscheinlich mit fettem Fleisch drin … «
    » Hör auf! «
    » Stell dir vor, dass ich dir eine ganz besondere Frucht habe liefern lassen, die du noch nicht kennst. Sie ist mehr eine seltene Blumenknospe, so wertvoll wie früher die Tulpenzwiebeln in Holland, als man mit ihnen sogar an der Börse spekulierte. Und du wirst höchstens fünf Stück davon essen dürfen. Man bekommt diese Knospe nur zu bestimmten Zeiten. Sie muss den ersten Frost abbekommen haben. Ich habe einige erlesene Stücke ausgewählt. Keines von ihnen werde ich kochen. Nachdem ich mehrere äußere Schichten entfernt habe, setze ich nur das Herz der Knospe auf diesen Schöpflöffel. Für Momente senke ich dieses Eisgewächs in klares, siedendes Wasser. Dann tauche ich es kurz in kaltes Wasser und schwenke es in Butter. «
    » Hm. Du blanchierst das Zeug. «
    » So ist es wohl. Jetzt schneide ich die Knospe in der Mitte durch: Sieh dir das an! Ist sie nicht wunderschön? Wenn du sie auf der Zunge zergehen lässt, wird sie süß sein, nur eine Ahnung von Bitterstoff. Du wirst die Knospe zwischen den Zähnen haben und jedes Blatt einzeln merken, wie es sich zerteilt. Und Muttis Kohlpampe hast du inzwischen hoffentlich vergessen. « Er ging einige Schritte durch die Küche und öffnete ein Tuch. » Jetzt kommt die Veredlung! Rate, was das hier ist! «
    Sternenberg sah kleine, helle Knoten. Er schüttelte den Kopf und fragte: » Maronen? «
    » So ist es! Das ist der späte Herbst – die Rosenknospe des Kohls mit der Kastanie. Die Kastanien habe ich leicht angeröstet, jetzt kommen sie in den Ofen. « Er hatte ein langes Streichholz, mit dem er den Gasherd anfeuerte. Blaue Flammen spiegelten sich in der schwarzen Emaille des Herdes.
    » Kastanien und Rosenkohl? « , fragte Sternenberg, skeptisch und neugierig zugleich.
    » Ein Rezept aus Griechenland. Dazu gibt es einen roten Nemea. Hier, mach mal auf. «
    » Drei Flaschen auf einmal? Ich erinnere mich noch an unser letztes Besäufnis … «
    » Das Wichtigste « , referierte Korbmann unbeeindruckt weiter, » ist selbstverständlich die Sauce. Du gehst jetzt mal aus der Küche, ich brauche Ruhe. «
    » Ach, jetzt kommt der Zauberstab, ja? «
    » So ist es. Aber kein Geheimnis: weiße Sauce, einen Schuss Weißwein dazu, eine kleine Portion Käse auflösen – das machen die Griechen nicht – und dann frischen Rosmarin, mit großzügiger Hand. Wir machen das Ganze nur für den Rosmarin. «
    » Na, dann gehe ich mal mit dem Wein ins Wohnzimmer – für den Rosmarin. «
    Er öffnete zwei Flaschen und gewährte der dritten Aufschub. Die Musik, ein Duell zwischen einer Violine und einem Orchester, kam ihm fremd und doch nicht unbekannt vor. Die sprunghaften Intervalle versetzten ihn für einen Moment in eine ferne, fremde Welt. In Richtung Küche rief er die Frage, was für ein Musikstück das sei, aber noch während er fragte, wurde ihm klar, dass Korbmann ihn in der Küche nicht hören konnte. Er sah sich die leere CD -Hülle an, zu der sein Freund ein grün-schwarzes Cover gemalt hatte: einen Hügel, der so anmutete, als schwebe er im All. Innen stand: » Max

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