Blutige Spuren
Abnutzungsspuren, und Staub schien diese Wohnung ohnehin noch nie erlitten zu haben. Es gab keine Bücher. Auch keine anderen Staubfänger.
Sternenberg machte sich ein Vergnügen daraus, seine weiteren Erwartungen an der Realität zu überprüfen: Er rechnete mit exakt gestapelten Tellern und einer funktionalen Aufteilung des Bestecks in der Küche – und fand sich bestätigt. Allerdings hatte Huth viel weniger Geschirr als erwartet. Eine kleine Vorratskammer enthielt Büchsen, die in ihrer Anordnung und Kennzeichnung Sternenbergs Erwartung genau erfüllten. Dagegen übertraf das Bad alles, was er sich vorstellte.
In einem Eckschrank standen Putzmittel in Reihen, die in Anzahl und Art dem Jahresbedarf eines Krankenhauses entsprachen. Für die Körperpflege hatte Huth gleich zwei Spiegelschränke über dem blitzenden Waschbecken, vollgestopft – nein, vollgereiht – mit Cremes, Zerstäubern und Fläschchen, wie bei einer Diva.
Schwul, schloss Sternenberg. Er rief sich jedoch gleich wieder zur Ordnung – zu schnelle Schlüsse sind meist falsch. Ein ordentlicher Typ muss ja deshalb nicht zwangsweise schwul sein. Er dachte an seinen Mitarbeiter Dodo. Der war aber längst nicht so extrem wie dieser Huth. Frank Huth, wie er auf dem Laubboden des Grunewalds gelegen hatte, machte da draußen nicht den Eindruck eines Reinlichkeitsfanatikers. Allerdings erinnerte sich Sternenberg an den akkuraten Kurzhaarschnitt des Toten, hingegen nicht an Bartstoppeln oder schäbige Kleidung.
Sternenberg glaubte nicht, dass ihm diese Wohnung noch ein Geheimnis offerieren könnte. Lustlos öffnete er die eine oder andere Schranktür. Im Anschluss daran wusste er, was ihn noch mehr irritierte als die Abwesenheit von Büchern: Es gab auch keine Bilder, ja, gar nichts an den Wänden. Als hätte ein einziger Gegenstand in diesen Räumen das Chaos auslösen können.
Er suchte auf dem Handy nach Tareks Nummer.
» Gibt’s was Neues? «
» Keine neuen Waldleichen, wenn du das meinst, Chef. Aber bei der Dunkelheit suchen wir ja im Grunde nicht mehr. Morgen früh geht es richtig los, wir haben ein paar Hundertschaften geordert. Polizeischüler, kennst ja das Verfahren. «
» Und der Staatsanwalt? «
» … die Staatsanwältin! ’ne ganz süße. Lange rote Haare, würde dir gefallen, Chef. Hättest hierbleiben sollen. «
» Red keinen Senf, Tarek. Was sagt er? «
» Er sagt, es ist ihm zu dunkel und zu kalt. Er kommt erst morgen früh. «
» Und Beatrix? «
» Wenn du alles wissen willst, warum hast du dann mich beauftragt? Beatrix hat sich für die Info bedankt und nicht nachgefragt. «
» Hm. «
» Ich habe … Weiß nicht, ob dir das recht ist … Du wolltest, dass die umliegenden Jagen abgesperrt werden. Ich halte das für unmöglich und unpraktisch. Es ist besser, wir positionieren an jeder Wegkreuzung einen Beamten, dafür weiten wir diese Maßnahme über den gesamten Wald aus. Die haben alle Handys oder Funk, und so haben wir die Wege im Visier. Auch nicht ideal, aber ich glaube, es funktioniert besser. «
» Tarek? «
» Ja? Sauer? «
Sternenberg lachte. » Nee. Du hast die Verantwortung. «
» Meinst du, mein System ist besser? «
» Tarek – du hast die Verantwortung. Für mich hört sich das logisch an, also mach es so. «
Er hörte die Erleichterung auf der anderen Seite, gleichzeitig wusste er von Tarek, dass er sich jetzt noch mehr anstrengte.
» Tarek, habt ihr schon die Abfrage beim BZR gemacht? Mich interessiert dieser Frank Huth. «
» Wie ist denn seine Wohnung? «
» Pedantisch aufgeräumt, nüchtern, einfach. Sauber vor allem. «
» Wenn der Generalbundesanwalt recht hat, sind gegen den Huth im Erkenntniszeitraum sechzehn Ermittlungsverfahren anhängig. «
» Ach?! «
» Zweimal Beleidigung, einmal Zechbetrug, zwei Bedrohungen, dreimal unrechtmäßiger Besitz von BtM, dreimal schwerer gemeinschaftlicher Raub … «
» Pfff … Klingt ja sauber. Weiter? «
» Tja, weiter … Der Rest ist Zuhälterei. Mit meinen Worten. «
» Ein Zuhälter, soso. Und wirklich keine Verurteilung dabei? Er wurde einfach nur verleumdet, stimmt’s? «
» Meistens ist er bei den Richtern mit geringer Schuld durchgekommen. Die Zuhälterei ist durchgängig unbewiesen. Für mich heißt das übersetzt: Die Nutten hatten Angst. «
Sternenberg dankte seinem Mitarbeiter und sah sich zuletzt noch in dem schmucklosen Wohnzimmer um, in dem alleine eine Fernsehzeitung das austarierte Gleichgewicht der Leere und den
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