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Blutige Spuren

Blutige Spuren

Titel: Blutige Spuren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Liemann
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lausigen zehn, hundert oder tausend Euro dieses Kind gerettet zu haben. «
    » Hm. Ist aber das Ergebnis nicht wichtiger als die Motivation? Wenn das Geld da ist, ist es da. Und dann könnt ihr entscheiden, wie ihr es einsetzt. «
    » Wahrscheinlich mache ich das schon zu lange. Ich kann das nicht mehr hören, dieses Thema stört mich. Ich will blind meine Arbeit machen und Arzt sein, und ich will diese Diskussion um Hilfe und Geld und Gutmenschentum nicht mehr. Ich will Arzt sein wie am Fließband. Weißt du, wie in einem Kriegslazarett. Bloß nicht mehr nachdenken. Geht jedoch nicht. Für eine eigene Praxis bin ich zu alt. Ich sollte ganz in den Ruhestand treten. «
    » Du? « Sternenberg lachte. » Das funktioniert niemals, Rolf! «
    Der platzte noch mal heraus, als hätte er nichts gehört. » Erinnerst du dich, wie 1995 in Srebrenica die Menschen vor den Kameras standen? Die serbischen Soldaten haben Männer und Frauen selektiert. Weißt du noch? Die UNO stand daneben, hat alles bewacht. Das Fernsehen hat es übertragen. Die Rampe, live am Bildschirm! Und dann wurden die Männer unter dem Schutz der Staaten der ganzen Welt weggebracht und erschossen. Wir wurden gerufen, damit wir beim Ausheben der Massengräber helfen und die Toten identifizieren. Von DNA -Analyse verstehen wir viel, weißt du? Darin sind wir groß. Mir wäre lieber gewesen, unsere UNO -Soldaten hätten auf die Täter schießen dürfen, schon an der Rampe! Mit Panzern, von mir aus. Stattdessen haben wir wieder um mildtätige Spenden gebettelt. Als es zu spät war. Genau das ist es: Wir produzieren am laufenden Band Opfer; und anschließend spielen wir für sie die Samariter. Klingt verbittert, oder? Siehst du, deshalb muss ich aufhören. Ich kann mich einfach nicht mehr für das Geld bedanken, mit dem ich einem von zehntausend Kindern dabei helfen darf, dem Hungertod zu entgehen. – Wie schmeckt’s dir? «
    Sternenberg zerteilte nachdenklich einen halben Rosenkohl. Dann sah er seinen Freund an. » Was machst du mit deiner Wut? Du richtest sie gegen dich selbst? «
    Korbmann grinste sardonisch und starrte eine Weile in sein Glas.
    Auch Sternenberg sagte nichts. Er aß.
    Korbmann nahm etwas Brot.
    Die Schottische war zu Ende. Es war ruhig. Nur zwei essende Männer.
    Korbmann sah Sternenberg an, der Schatten eines Lächelns huschte über sein Gesicht.
    » Diese Pampe hier ist genial « , verkündete Sternenberg daraufhin.
    » Und der Rosenkohl? «
    » Die Kastanien sind toll. Leicht mehlig, leicht knackig … «
    » Und der Rosenkohl? «
    » Es könnte sein, dass ich in Erwägung ziehe, mich daran zu gewöhnen. «
    » Na, darauf lass uns das Glas erheben, Kai! «
    Nachdem sie ihre Auflaufformen bis auf den letzten Rest geleert hatten – zu den Klängen von Saint-Saëns –, streiften sie durch verschiedene andere Themen. Rolf Korbmann deutete an, dass er mit der Ehefrau des Vorsitzenden einer bekannten Hilfsorganisation etwas mehr als einen Flirt gehabt hatte. Die Frau sei älter als er, aber ungemein attraktiv.
    Sternenberg vermied es sorgfältig, zwischen dieser Affäre und Rolfs gegenwärtigen Zweifeln an seiner Arbeit als Arzt eine Parallele zu ziehen. Dazu, dachte er, mochte später noch Zeit sein.
    Er selbst berichtete von der Anruferin bei der Telefonseelsorge, die sich in ein Bild der Janis-Joplin-Freundin Pat Nichols verliebt hatte – und sich und ihrer Umwelt vormachte, zu dieser Frau eine Beziehung zu haben. Mit Rolf konnte er solche Informationen austauschen, bei ihm war so etwas aufgehoben wie in einem Beichtstuhl.
    Hernach erzählte er von dem dreifachen Totschlag oder Mord im Grunewald und warnte Korbmann gespielt dramatisch, dort spazieren zu gehen. Der Freund wollte wissen, ob Kai keine Angst hätte, dass in der Nacht weitere Menschen umgebracht würden. Der antwortete, er könne sich noch kein Bild über die tatsächliche Gefahr machen.
    Daran schloss sich nahtlos ein Gespräch über den Fortschritt der DNA -Analyse-Technik im Allgemeinen an, über Genforschung und über den Anteil, den die Proteine bei der Wirksamwerdung der Gene spielen, in diesem Zusammenhang über den Hochmut einiger Wissenschaftler, vor allem mancher Biologen, die neuerdings alle Erkenntnisse über die Willensfreiheit des Menschen negierten, nur weil sie im Gehirn Prozesse gefunden hatten, die die menschlichen Entscheidungen beeinflussten oder vorwegnähmen. Sie sprachen über Deutschland als Wissenschaftsstandort, über Sinn und Unsinn des

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