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Blutige Spuren

Blutige Spuren

Titel: Blutige Spuren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Liemann
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Bäume vom Blitz getroffen. Die Markgrafenheide ist ein Hochplateau. Wohin soll man hier gehen, wenn ein Gewitter aufzieht? Man hat keine Chance.
    Da setzt man jemandem ein Kreuz in den Wald und schreibt keinen Namen dazu. Warum nicht? War der junge Mann dann doch nicht so wichtig? War das Ereignis interessanter als der Tote? Oder wollte die Familie ihren Namen nicht veröffentlichen? Ob irgendjemand aus der Familie jemals wieder hierherkommen wollte?
    Die Markgrafenheide ist mehr ein Friedhof als ein Wald. Ach, Unsinn. Konzentriere dich! Er dachte wieder an die drei Männer im Grunewald, die sich gegenseitig aufgeschlitzt hatten. Das Motiv kannte er nicht.
    Die Frage ist eine ganz andere, murmelte er, und die Stöcke stampften in den Boden. Er konnte seinen Atem hören. Die Frage ist: Drei Männer treffen sich in einem Lokal namens Dreihirtenhaus. Wenn sie zu dritt waren, empfanden sie den Namen vielleicht als passend. Haben sie von der Legende um die drei Hirten und ihr Schicksal gewusst?
    Das kann doch gar nicht sein. Wenn sie die Geschichte gekannt hätten, hätten sie sich doch nicht in eine ähnliche Situation begeben.
    Oder haben sie gerade diese Ähnlichkeit der Situation gesucht? Ein gemeinsamer Suizid, ein Kult? Dagegen spricht, dass sie anschließend in alle Richtungen geflüchtet sind.
    Kai Sternenberg fühlte, dass sein T-Shirt von der Anstrengung durchnässt war. Es ging zwar leicht bergab, in der Dunkelheit war das aber nicht beruhigend.
    Nach einiger Zeit sah er eine vertraute Weggabelung wieder. Jetzt musste er noch den richtigen Weg bis zu der Stelle finden, an der der Pfarrer ihn abgesetzt hatte. Und dann ins nächste Dorf, eine Pension finden. Er hatte keine Lust mehr, noch in dieser Nacht nach Berlin zurückzufahren, ja er wollte noch nicht einmal bis zur Steinachbaude zurück.
    In der Nacht schlug der Blitz in die Steinachbaude ein. Im Keller riss er die Einweckgläser aus den Regalen. Sie platzten, und die in Blut eingelegten Gedärme quollen heraus. Inmitten der Scherben und des Blutes standen Anja und Tatjana. Doch es waren drei Töchter, und sie hatten sich alle gekleidet wie Pat Nichols, die Freundin von Janis Joplin.
    Sternenberg vermutete, dass eine von ihnen die echte war, aber dann sah er, dass sie alle schwere Bauchverletzungen hatten. Sie taten es als Lappalie ab. Auch Pfarrer Grimm versuchte ihm zu vermitteln, heutzutage seien Suizidversuche mit Messern nicht mehr lebensbedrohlich, das wachse sich aus.
    Dann fand er die echte Pat: Sie war eine alte Frau, weit über neunzig, und lag in dem Chaos. Ihr Körper war über und über besetzt mit Käfern. Sternenberg sollte auf Wunsch des Pfarrers den Grabstein entwerfen, er wusste aber nicht, was er in den Stein meißeln sollte. Und auch nicht, wie: Der Stein war bröselig.

16
    Das Weiß des Frühstückseis war flüssig. Sternenberg hatte ein » möglichst hart gekochtes « Ei bestellt und schob es beiseite. Es gab zwei aufgebackene Brötchen, einen verschweißten Napf mit Erdbeermarmelade und ein verpacktes Stück Butter. Auf einem Beistellteller lagen eine Scheibe Löcherkäse, die sich am Rand wellte, zwei Scheiben Jagdwurst und ein Büschel Petersilie. Der Kaffee allerdings war gut.
    Noch besser war die Aussicht. Er schaute auf das Zwiebeltürmchen der Evangelischen Kirche auf der anderen Seite des Tals. Die Bergkette war geschwungen und vom Nadelwald einheitlich bewachsen. Aus der grünen Struktur stiegen Rauchschwaden auf. Es hätte ein Waldbrand sein können, aber Sternenberg erklärte sich das Phänomen mit höheren Temperaturen und aufsteigender Feuchtigkeit. Er sah sich das Schauspiel gern an. Die Schwaden erinnerten ihn an die Rauchfiguren, die aus einer Pfeife emporstiegen. Es ist, als zögen Wolken auf, die vom Wald ausgestoßen werden, dachte er. Sie sind groß und bestimmen das Tal, aber nach ein paar Minuten haben sie ihr Aussehen verändert. Sie verschwinden – oder lösen sich auf.
    Es war schon elf Uhr. Am Abend hatte er noch geduscht und den Rumtopf aus dem Auto geholt. Im Radio lief ein Fußballspiel. Beim 1:1 war er eingeschlafen.
    Nun bat er um einen weiteren Kaffee und um die Rechnung. Sie kam ohne Umschweife. Achtzehn Euro.
    Achtzehn Euro? Für dieses Frühstück? Er überlegte, ob die Sache den Ärger wert wäre. Doch, dachte er. Das ist eine Unverschämtheit für ein so erbärmliches Essen.
    » Frau Wirtin? «
    » Moment. «
    Er merkte, dass seine Wut Blasen zu schlagen begann. Die junge Frau putzte erst noch

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