Blutige Stille. Thriller
rügen, weil sie ihre Arbeit darüber vernachlässigt hat. Ich habe sie eingestellt, weil die Amischen eine sehr gute Arbeitsmoral haben. Sie wissen schon, religiöse Menschen beklagen sich nicht so oft.« Sie lacht. »Aber du meine Güte, für ein amisches Mädchen war sie ziemlich faul.«
Da wird mir klar, dass Janine und ihre Schwester mehr verbindet als nur eine Blutsverwandtschaft: Beide haben den gleichen Hang zur Bösartigkeit.
»Ist Ihnen jemand aufgefallen, der sich ungewöhnlich oft im Laden aufhielt?«, fragt Tomasetti. »Ein Kunde, der sich mit Mary unterhalten hat? Männer, die ihr zu große Aufmerksamkeit geschenkt haben?«
»Na ja, alle Männer haben sie angestarrt, wenn sie sie sahen. Sie war wirklich sehr hübsch, obwohl sie nicht einmal Make-up benutzte und fast jeden Tag das gleiche schäbige Kleid trug. Aber sie hat keinem von ihnen Beachtung geschenkt.«
»Und sie hat auch nie mit jemandem geredet?«
»Wie ich schon sagte, sie war sehr ruhig. Hat eigentlich mit keinem geredet.«
»Haben Sie noch andere Angestellte?«, will ich wissen.
»Zwei Schülerinnen helfen an den Wochenenden aus. Ansonsten gibt’s nur mich.«
»Können Sie mir die Namen der Mädchen geben?«
Sie nennt sie mir, und ich notiere es.
»Kommen irgendwelche Männer regelmäßig in den Laden?«
»Meinen Sie Kunden?«, fragt Mrs Steinkruger. »Ein paar schon, aber die meisten sind Frauen.«
»Was ist mit den Lieferanten?«, frage ich. »Haben Sie hier in letzter Zeit irgendetwas machen lassen? Neue Einbauten oder vielleicht Reparaturen?«
»Also einmal die Woche kommt der Kaffeemann und füllt den Kaffee- und Sahnevorrat auf.«
»Und das ist immer derselbe?«
Sie nickt. »Ein netter junger Mann. Ich glaube, er heißt Scott.«
»Nachname?«
»Weiß ich nicht. Aber er ist süß wie ein getüpfeltes Hündchen.«
Ich widerstehe dem Drang, die Augen zu rollen. »Wie heißt dieser Kaffeelieferant?«
»Tuscarawus Coffee Roasters. Fabelhafter Kaffee.« Sie zieht das A so lang wie im Nordosten üblich. »Unsere Kunden lieben den Pennsylvania-Dutch-Schokolade-Geschmack. Der ist immer sofort ausverkauft.«
Ich schreibe mir den Namen des Kaffeelieferanten und seines Vertreters ins Notizbuch.
Tomasetti stellt die nächste Frage. »Haben Sie Mary mal mit anderen zusammen gesehen? Ist sie mit jemandem Mittagessen gegangen? Oder hat sie telefoniert?«
Mrs Steinkruger runzelt die Stirn, und sie schiebt die Brille auf der Nase hoch. »Jetzt, wo Sie das erwähnen, erinnere ich mich wieder, dass Mary vor ein paar Wochen in ein Auto gestiegen ist. Ich fand das seltsam, weil sie doch eine Amische ist. Bei denen gibt es ja alle möglichen Vorschriften für den Umgang mit anderen.«
Meine Antennen schalten auf Empfang. »Haben Sie den Fahrer gekannt?«
»An dem Tag war ziemlich viel los hier. Ich hatte nur zufällig aus dem Fenster gesehen und mir nichts dabei gedacht, weil sie ja Mittagspause hatte. Im Stillen hatte ich bloß gehofft, dass sie sich nicht verspätet, weil wir gerade eine Lieferung Süßigkeiten bekommen hatten, die ausgezeichnet und in die Regale sortiert werden musste.«
»Wissen Sie noch, was für ein Auto das war?«, frage ich.
»Ein hübscher Wagen, sah neu aus. Dunkel und glänzend.«
»Erinnern Sie sich an die Farbe?«
»Schwarz oder blau.« Sie legt den Finger ans Kinn. »Vielleicht braun. Dunkel halt, genauer weiß ich’s nicht.«
»Und die Marke oder der Hersteller?«
»Ich bin ganz schlecht in solchen Sachen. Mein Mann hat dreißig Jahre bei General Motors gearbeitet. Für ihn grenzt es an Gotteslästerung, dass ich einen Ford nicht von einem Toyota unterscheiden kann.«
»Das ist Gotteslästerung«, murmelt Tomasetti.
»Tut mir leid. Aber ich hab den Wagen nur ganz kurz gesehen.«
»Wissen Sie noch, ob eine Frau oder ein Mann am Steuer saß?«, frage ich.
Sie schüttelt den Kopf. »Nein, weiß ich nicht.«
»Hatten Sie das Gefühl, dass Mary den Fahrer kennt?«
»Das kann ich so nicht sagen. Nur dass sie nicht die Sorte Mädchen war, die zu einem Fremden ins Auto steigen würde.«
»Mrs Steinkruger, das ist jetzt wirklich wichtig: Erinnern Sie sich an irgendein Detail, was den Fahrer oder das Auto betrifft?«
Sie überlegt. »Ich weiß noch, dass ich es seltsam fand, dass sie nicht vor dem Laden eingestiegen ist, sondern weiter unten an der Straße.« Sie senkt die Stimme. »Und einmal kam sie zurück und hat nach Zigaretten gerochen. Ich wollte es ihrer Mutter sagen, hab es dann aber
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