Blutige Tränen (German Edition)
sperrangelweit – offenstehender Tür ankam.
Vorsichtig, lautlos warf er einen Blick in das Schlafzimmer. Silk lag bäuchlings mit heruntergezogener Hose auf Lance Schenkeln. Sein blanker Hintern leuchtete in einem satten Feuerrot. Sein hübsches Gesicht war tränennass und vor Schmerz und Wut verzerrt.
»Das ist demütigend«, zischte Silk. »Ich bin kein kleiner Junge mehr.«
Lance ließ ihn aufstehen. »Lass dir das eine Lehre sein. Ich dulde es nicht, wenn man mich hintergeht«, entgegnete Lance seltsam steif.
Alex hatte plötzlich einen bitteren Geschmack im Mund. Er hatte es schon die ganze Zeit geahnt, und seine Ahnung war nun zur Gewissheit geworden: Es war ein Fehler gewesen, Silk hierher zu holen. Doch verdammt, er hatte keine Wahl gehabt!
Der Junge war nichts weiter als ein Spielball zwischen zwei unberechenbaren Mächten. Er hatte gar keine Chance, das hier unbeschadet zu überstehen. Er würde daran zugrunde gehen.
Als Lance aufstand, wich Alex hastig auf den Gang zurück und verbarg sich in einer Nische.
Mit gewohnt forschem Schritt verließ Lance den Raum und wandte sich in entgegengesetzter Richtung den Gang hinunter, ohne auch nur einen Blick in Alex’ Richtung geworfen zu haben.
Alex atmete erleichtert auf.
Erst als Lances Schritte verklungen waren, wagte er sich heraus. Er hatte keine Lust, ebenso wie Silk Prügel zu beziehen. Und Lance war sicherlich in bester Stimmung, gleich bei ihm weiterzumachen, und leider besaß er auch die körperliche Kraft. Wie ein Schatten glitt Alex in Silks Schlafzimmer.
Der Junge saß auf seinem Bett und heulte vor Wut und Schmerz. Doch er sah Alex sofort, als dieser durch die Tür kam. Fragend hob er den Kopf.
Alex schloss die Tür hinter sich und sah Silk mitfühlend an. »Was war los?« fragte er leise.
Silk knirschte hörbar mit den Zähnen. Alex hatte ihn nie zuvor so wütend gesehen.
»Er ist ... eifersüchtig. Ich wusste nicht ... nicht ..., dass er so reagiert«, stammelte er. »Ich wusste es nicht.«
Er verbarg sein Gesicht in den Händen. »Verdammt ... ich hasse ihn!«
Ein wenig hilflos setzte Alex sich zu dem Jungen aufs Bett. Er wusste nicht, was er tun sollte. »Wein’ doch nicht, du hast so schöne Augen ...«
Silk hob den Kopf und sah Alex an. »Wieso tut er so was?«
»Es macht ihn an«, sagte Alex. »Er ist der Herrscher und er genießt seinen Status, er genießt seine Macht.«
»Wie kann er es genießen, mich so zu quälen?«
Alex wusste die Antwort, doch er schwieg. Er wusste alles – und dieses Wissen lastete tonnenschwer auf seinen Schultern.
»Bist du verletzt?« fragte er vorsichtig nach.
Silk schüttelte den Kopf. »Nein, nicht wirklich. Nur ... hier drinnen.« Er klopfte sich leicht mit der Hand an die schmale Brust.
Alex nickte langsam. Er wusste nur zu gut, was in Silk vorging. Und er hatte jetzt schon oft genug am eigenen Leib erfahren müssen, dass Lance nicht gerade zimperlich war.
»Leg dich hin und schlaf ein bisschen«, schlug er sanft vor.
»Willst du jetzt gehen?« Silk sah ihn erschrocken an. »Bitte, bleib noch. Ich möchte nicht alleine sein.«
»Ich bleibe, Silk. Leg dich ruhig hin.«
Er legte sich vorsichtig auf den Bauch. Alex strich ihm vorsichtig über den Kopf.
»Ich habe mich gefragt, wie es ist, wenn man unsterblich ist«, sagte Silk plötzlich leise.
Erstaunt hielt Alex in der Bewegung inne. »Es ist nichts mehr, über das ich nachdenke. – Aber ich habe Zeiten erlebt, in denen ich die Unsterblichkeit verflucht habe.« Er zögerte. »Ich bin ehrlich zu dir: Ich wollte unsterblich werden. Ich habe viel dafür ertragen müssen.«
»Ist es nicht ... unheimlich? Ich hätte Angst, wenn ich wüsste, dass ich nicht sterben könnte.«
»Ich kann sterben«, sagte Alex leise.
Silk hob den Kopf. »Da muss sich einer aber ganz schön große Mühe geben, oder?«
Alex dachte daran, wie er Mayra den Garaus gemacht hatte. Daran, dass sie ihn fast besiegt hatte. Er nickte.
»Ich würde nicht unsterblich sein wollen«, fuhr Silk fort. »Ich ... habe mir schon viele Gedanken über das Sterben gemacht.«
Alex zuckte zusammen. Warum sagte Silk das jetzt? Er räusperte sich. »Das Sterben ist ein interessantes Thema, der Tod ...«
»... ist seltsam schön, nicht wahr?«
»Liest du in meinen Gedanken?«
Silk lächelte. »Manchmal.«
»Ich habe ein anderes Verhältnis zum Tod – ich bringe ihn.«
»Genießt du das Töten?«
»Oft.« Warum sollte er ihn belügen?
»Der Tod gehört zum Leben«,
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