Blutige Verfuehrung 6
Gewissen. Rob lief neben mir her und sein Arm um meine Schulter fühlte sich gut an, er hielt immer wieder an, um mich zu küssen. Ich ließ es geschehen, doch meine Gedanken waren inzwischen woanders. Ich hoffte, Lucrezia schnell wiederzufinden, denn sie war ein unvorsichtiges, verzogenes Balg, das keine Ahnung vom richtigen Leben hatte. Die beiden Jungen, die sie mitgenommen hatten, würden leichtes Spiel mit ihr haben.
Die Bar, in der wir verabredet waren, war bereits brechend voll. Wir bekamen gerade noch einen Stehplatz am Tresen. Eine Band spielte laute Musik, die mir sehr bekannt vorkam. Doch sie sangen nicht die Originaltexte. Es dauerte einen Moment, bis ich erkannte, dass es Hits von Madonna waren, auf Italienisch. Rob ging zum Barkeeper und sprach mit ihm. Dann kam er wieder zurück. Er sagte:
"Signorina mes amigos sono andato…" Er zeigte mit der Hand in Richtung Ausgang und half mir von meinem Barhocker. Wir verließen die Bar wieder und Rob zog mich an der Hand in Richtung Stadt. Wir liefen durch eine Siedlung mit hohen Häusern, es wurde immer dunkler. Die Gegend veränderte sich und mein Eindruck war, dass wir im Armenviertel von Pesaro angelangt waren. Plötzlich hielt Rob an und holte sein Handy aus der Tasche. Er telefonierte und redete laut und schnell, dabei gestikulierte er mit der anderen Hand. Er sah mich immer wieder an, und allem Anschein nach sagte sein Gesprächspartner am anderen Ende nicht das, was Rob hören wollte. Entnervt steckte er das Handy wieder in die Tasche.
"Ospedale", sagte er dann zu mir und zuckte mit den Schultern.
"Du meinst Hospital – also Krankenhaus?", fragte ich zurück. Er nickte nur mit dem Kopf.
"Ruf ein Taxi!", schrie ich ihn an. Rob ging erschrocken wieder einen Schritt zurück und nahm sein Handy. Dann wählte er eine Nummer. Wir warteten. Es verging eine halbe Ewigkeit, bis endlich ein Taxi um die Ecke kam.
Das Krankenhaus war außerhalb von Pesaro, aber es dauerte nicht lange, bis wir dort vor dem Eingang aussteigen konnten. Rob schob mich vor sich her, er wusste offenbar nicht, wo wir hin mussten. Deshalb fragten wir an der Information nach einer Noteinlieferung. Die Dame zeigte auf ein Schild, das wohl Notaufnahme hieß und wir gingen in diese Richtung. Nach mehreren Glastüren standen wir vor eine halb durchsichtigen Wand, hinter der geschäftig grün gekleidetes Personal hin- und herlief. Wir klopften an der Türe. Dann kam ein Mann, der uns ziemlich unwirsch fragte, was wir wollten. Zum Glück sagte Rob, was wir suchten. Der Mann nickte und zeigte auf die Stühle, die im Gang standen. Wir sollten also warten.
Die Zeit schien stehengeblieben zu sein, bis sich endlich die Tür öffnete und ein junger Mann uns winkte, ihm zu folgen. Wir gingen an verschiedenen Liegen vorbei, die von allen möglichen Verletzten belegt waren, dann kamen wir in einen kleinen Raum, der etwas abgedunkelt war. Ich sah Lucrezia zusammengesunken auf einem Stuhl sitzen. Neben ihr stand einer der jungen Männer und auf einer Liege war der zweite zu sehen. Ich ging zu Lucrezia und umarmte sie. Sie weinte still und reagierte kaum.
"Was ist denn geschehen?", fragte ich sie, doch sie schüttelte nur den Kopf. Dann sah ich mir den jungen Mann auf der Liege an. Sein Oberkörper steckte in einer festen Bandage bis zum Hals. Er sah sehr blass aus und seine Augen waren geschlossen. Verschiedene Schläuche kamen unter dem Verband und aus seiner Nase hervor. An seinem Kopfende waren einige Plastikbeutel mit Flüssigkeiten aufgehängt. Ich sagte zu Lucrezia:
"Hast du ihn so zugerichtet?" Wieder war nur ein zaghaftes Nicken die Antwort. Ich erschrak, denn der junge Mann schien dem Tode näher als dem Leben. Ein Arzt kam herein und sagte zu den beiden Jungen etwas. Wir verstanden leider nichts, doch dann mussten wir den Raum verlassen und wurden zur Anmeldung geschickt. Dort nahm man unsere Personalien auf. Wir verließen das Krankenhaus und ich wählte auf meinem Handy Silvios Nummer. Er war ziemlich sauer, dass wir uns erst mitten in der Nacht bei ihm meldeten. Er hatte die ganze Zeit auf uns gewartet. Doch dann dauerte es nicht lange, bis er uns abholte. Die Jungs setzten wir in der Stadt ab. Unsere Konversation war sehr dürftig und als Rob sich von mir verabschiedete sagte er nur:
"Ciao bella." Das verstand ich immerhin.
Als ich mit Lucrezia allein war, fragte ich sie, was vorgefallen war, doch sie deutete nur auf Silvio und flüsterte:
"Nicht jetzt, ich erzähle es dir
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