Blutiger Freitag
Wahrscheinlich war er nicht viel älter als Rebecca. „Ich sehe keinen mehr mit einem roten Rucksack.“
Bei den Worten lief Rebecca zusätzlich ein kalter Schauer über den Rücken.
Die Rucksäcke.
Sie rappelte sich mühsam wieder hoch und drehte sich zu der Stelle um, wo sie Chad zum letzten Mal gesehen hatte.
Kein Chad. Auch kein verwundeter Chad, der wie sie durch die Gegend stolperte.
Alles, was Rebecca erkennen konnte, war ein Loch in einer verbrannten Wand. Rauch. Verkohlte Gegenstände, ein glimmender, schwelender Haufen.
Wo ist Chad?
Ihr wurde schwindlig. Die Kehle schnürte sich ihr zu. Ihr war, als müsse sie sich jeden Moment übergeben.
Nein, daran wollte sie nicht denken. Daran durfte sie nicht denken.
Rebecca sah in die andere Richtung. Wieder wurde ihr schwindlig, sie klammerte sich krampfhaft ans Geländer, bis ihre Knöchel weiß hervortraten. Da entdeckte sie ein weiteres schwarzes Loch, dort, wo die Damentoilette gewesen war. Die Toilette, in der sie Dixons Rucksack vergessen hatte, an dem Haken an der Tür zur ersten Kabine. Der Rucksack, den sie eigentlich auf dem Rücken hätte tragen sollen.
Oh Gott, das waren die Bomben. Die Rucksäcke.
Sie sackte wieder auf die Knie zurück, vollkommen erschüttert von dieser Erkenntnis. Unter ihr klebte irgendetwas. Es kümmerte sie nicht mal mehr. Wie dicht war sie daran gewesen, ebenfalls als glimmender, schwelender Haufen zu enden? Irgendwo aus dem Inneren ihres Mantels ertönte die Titelmelodie von „Batman“, und inmitten des Stöhnens und Schreiens um sie herum war sie gar nicht mal so überrascht, die Musik zu hören.
Die Batman-Melodie passte perfekt zu dieser bizarren Szenerie.
6. KAPITEL
Newburgh Heights, Virginia
So hatte sich Maggie O’Dell diesen Tag nun wirklich nicht vorgestellt.
R. J. Tully stellte den Fernseher in Maggies Wohnzimmer an, aber statt Fußball flogen Maggie nun Fetzen von Nachrichten um die Ohren, während ihr Kollege von einem Kanal zum anderen zappte.
„Sie bringen noch nichts“, bemerkte Tully, als die anderen sich vor dem Tresen versammelten, der die Küche vom Wohnzimmer trennte.
„Kunze meint, es wäre gerade erst passiert“, sagte Maggie. „Die Ortspolizei ist noch nicht aufgetaucht.“
„Woher will er dann schon wissen, dass es ein Terroranschlag war?“, wandte Benjamin Platt ein.
„Weiß er auch nicht, aber er ist mit dem Gouverneur befreundet.“ Maggie versuchte, das wiederzugeben, was ihr neuer Vorgesetzter ihr gerade erzählt hatte – was nicht gerade viel war. Nebenbei machte sie in Gedanken eine Liste von den Dingen, die sie einpacken musste.
„Also wird er das FBI verständigen?“, meldete sich Julia Racine zu Wort.
Maggie zuckte die Schultern. In gewisser Hinsicht war es ein Vorteil, wenn die eigenen Freunde zugleich Kollegen waren. Denn niemand verstand die Probleme besser, die der Job so mit sich brachte. Der Nachteil daran war, dass sie sich einfach nicht heraushalten konnten.
„Sie glauben, dass im Einkaufszentrum mindestens eine Bombe hochgegangen ist“, sagte Maggie. „Wahrscheinlich sogar drei. Und sie befürchten, dass noch weitere Anschläge geplant sind.“
„Aber warum schicken sie dich?“, wandte Gwen ein, die sich keine Mühe gab, ihren Ärger zu unterdrücken. „Du bist eine Profilerin, verdammt noch mal, keine Bombenspezialistin!“
„Es geht darum, so schnell wie möglich ein Profil zu erstellen. Damit sie wissen, nach wem sie suchen müssen“, erklärte Tully. Mit der Fernbedienung in der Hand zeigte er von der anderen Ecke des Zimmers aus auf den Bildschirm. Er zappte immer noch durch die Sender, hatte aber den Ton abgestellt. „Sie müssen das Puzzle zusammensetzen, solange die Augenzeugenberichte noch frisch sind.“
Maggie blickte zu Tully hinüber und versuchte, seinen Gesichtsausdruck zu entziffern. War er enttäuscht, dass er sie nicht begleiten konnte? Vor seiner Suspendierung hatten sie immer als Team gearbeitet.
Leider gehörte eine bezahlte Suspendierung zum Protokoll, wann immer ein Agent jemanden im Dienst getötet hatte. Vor nicht einmal zwei Monaten hatte Tully einen Mann erschossen, der davor eigentlich einer seiner Freunde gewesen war. Die Dienststelle würde letztendlich zu dem Schluss kommen, dass seine Reaktion der Situation angemessen war. Maggie war sich sicher, dass auch Tully damit fertig wurde ... irgendwann. Jetzt schien es dafür noch zu früh.
„Okay, also Kunze braucht einen Profiler am Tatort. Das beantwortet
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