Blutiger Frühling
dem er die Flanke des Zugpferdes bearbeitet hatte. »Du musst schon verzeihen – aber ich hatte dich ja nicht gesehen.«
Er ging zum Brunnen, betätigte die Winde, kam mit dem gefüllten Eimer zu Anna Elisabeth herüber, die sprachlos dastand und ihn völlig verwirrt anschaute. Ohne weitere Bitten oder Aufforderungen machte er sich daran, das Saumpferd zu tränken, und hängte ihm, als es mit Saufen fertig war, sogar einen vollen Futtersack um. Erst jetzt wandte er sich wieder an Anna Elisabeth. »Zufrieden?«
Sie konnte nichts anderes als nicken.
»Du scheinst mir nicht mit viel Hirn gesegnet«, sagte der Knecht, indem er ein neues, etwas schiefes Lächeln zeigte. »Bevorich mich wieder mit meiner Arbeit beschäftige – kann ich dir sonst noch irgendwie behilflich sein?«
Diese neue Frechheit machte Anna Elisabeth für den Augenblick noch einmal sprachlos. Sie musste schlucken, räusperte sich, suchte nach Worten.
»Also nicht.« Der Knecht gab sich selbst die Antwort, die er von Anna Elisabeth erwartete. »Nun – dann leb wohl, Mädchen. Es war reizend, deine Bekanntschaft zu machen – auch wenn das Vergnügen nur kurz war ...«
Jetzt brach sich die Empörung in Anna Elisabeth freie Bahn. Tränen stürzten ihr aus den Augen, und sie ballte in hilflosem Zorn die Fäuste. »Wie kannst du die ganze Zeit so albern sein«, stieß sie hervor, »wo heute so viele Menschen den Tod gefunden haben! Jetzt ist nicht die Zeit zu dummen Scherzen. Ich habe Schreckliches gesehen in Weinsberg ... und du machst reizende Bekanntschaften!«
Mit diesem Ausbruch hatte er nicht im Entferntesten gerechnet. Erschrocken musterte er sie, dann trat er zwei, drei Schritte auf sie zu. »Verzeih«, murmelte er verlegen, »aber ich wusste wirklich nicht ...«
Plötzlich war er derjenige, dem keine passenden Worte mehr einfielen. Seine Miene, die eben noch so keck gewesen war, hatte jetzt Ähnlichkeit mit der eines gescholtenen Hundes. Doch Anna Elisabeth brachte es nicht fertig, ihm aus der Verlegenheit zu helfen. Sie starrte ihn nur an, während weitere Tränen ihre Wangen hinabrannen.
Er bemühte sich darum, seine Fassung zurückzugewinnen. »Bitte«, sagte er, »bitte nicht ... ich kann keine Frauen weinen sehen. Was soll ich tun, um dich wieder heiter zu stimmen?«
Sie drehte ihm den Rücken zu. »Nichts«, gab sie leise zurück. »Lass mich einfach zufrieden ...«
»Damit verlangst du Unmögliches«, sagte er. In seiner Stimme schwang schon wieder die alte Unbekümmertheit mit.
»Denk dir etwas Besseres aus – etwas, das ich auch bieten kann. Wie wär’s mit einem schönen warmen Essen?«
Anna Elisabeth schluchzte auf. »Danke für das Wasser und das Futter«, erwiderte sie mit zitternden Lippen, »aber jetzt muss ich gehen. Ich will nicht, dass du –«
»Zu spät.« Er war bereits an ihrer Seite und fasste sie am Unterarm. »Deine Chance, schnell wegzulaufen, hast du vergeben. Nun bleibt dir nur noch eins – dich von mir verköstigen zu lassen. Und nenn mir gefälligst deinen Namen, damit ich weiß, wie ich dich anzusprechen habe. Ich heiße Balthasar. Meine Freunde nennen mich Balzer.«
Anna Elisabeth antwortete nicht. Doch ihre Tränen begannen zu versiegen.
»Du willst es mir nicht sagen?«, redete Balzer weiter. »Das ist klug – und du tust recht daran, deinen Namen zu verschweigen. Denn ich bin gefährlich und habe schon so manche junge Frau ins Verderben gerissen.« Er ließ seine Augenbrauen ein paarmal auf- und niederzucken. »Aber für dich mache ich eine Ausnahme ... wie heißt du also?«
»Das geht dich nichts an.«
»Ungewöhnlich, höchst ungewöhnlich.« Balzer legte theatralisch den Finger an die Nase. »Hast du auch einen Vornamen?«
Jetzt endlich fühlte Anna Elisabeth sich gezwungen, zu lächeln. »Wollen wir nicht wie vernünftige Menschen miteinander reden?«, sagte sie zu Balzer. »Ich heiße Anna. Und es wäre wirklich sehr freundlich von dir, wenn du mir etwas Nahrung beschaffen könntest. Ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen.«
Er war so erleichtert, dass er lachte. »Warum nicht gleich«, seufzte er. »Wir binden deinen Gaul im Stall dieser Wirtschaft an, und dann führe ich dich aus. Du wirst zufrieden sein!«
Die kleine Gaststube, in die Balzer Anna Elisabeth führte, nachdem er ihr Pferd versorgt hatte, war dunkel, eng, warmund voller fröhlich zechender Menschen. Er bestellte ihr eine Schüssel dampfende Gerstensuppe mit Pökelfleisch, die sie halb leer aß. Den Rest
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