Blutiger Frühling
warf eine dürre, ebenso zerlumpte Person ein. »Endlich ...«
Aber Anna Elisabeth war nicht bereit, sich noch aufhalten zu lassen. Sie zerrte das Pferd weiter und nutzte es, sich Platz zuschaffen – auch gegen den Widerstand der dicht gedrängt stehenden Zuschauer. Schritt für Schritt kam sie so näher an Hannes Rebmann heran, der inzwischen wie versteinert nach vorn starrte und nur noch lautlos die Lippen bewegte. Als sie ihn erreicht hatte, sprach sie ihn an:
»Hannes ... ?«
Er rührte sich nicht, drehte nicht einmal den Kopf in ihre Richtung.
»Hannes ... !«, wiederholte sie.
Ein Muskel zuckte in seinem Gesicht. Seine Brauen runzelten sich. Er verzog den Mund, als leide er Schmerzen. Dann, ganz langsam, wandte er sich zu Anna Elisabeth um.
Er sagte nichts.
»Ich bin’s«, fuhr Anna Elisabeth fort. »Ich hatte dich in der Menge gesehen, Hannes ...«
»Wie kommst du hierher ...«
Sie ging nicht auf seine verwirrte Frage ein. »Lass uns von hier verschwinden«, forderte sie ihn auf. »Ich habe genug gesehen. Du nicht auch?«
Er nickte, unschlüssig, wie es Anna Elisabeth schien.
»Dann komm.« Sie streckte ihm die Hand entgegen wie einem kleinen Kind. Er ergriff ihre Finger und umklammerte sie so hart, dass Anna Elisabeth sich einen Schmerzensschrei verbeißen musste. Doch sie entzog ihm ihre Hand nicht. »Komm«, wiederholte sie noch einmal. Mithilfe des Pferdes schafften sie es, sich aus der drangvollen Enge des Zuschauerringes zu befreien und den Rand des Angers zu erreichen.
Hier waren einige Männer des Bauernheeres dabei, die vorhin Getöteten nebeneinander auf dem Rasen auszulegen. Die beiden Hauptleute, in ihrer Gesellschaft auch die schwarzhaarige Frau mit den glühenden Augen, standen in unmittelbarer Nähe und beaufsichtigten die Aktion. »Den Grafen Helfenstein ganz nach vorn«, befahl gerade der Ältere der beiden Hauptleute,indem er mit der Frau einen flüchtigen Kuss tauschte. »Man soll doch sehen, wer von denen das Hauptschwein war!«
Anna Elisabeth wollte mit Hannes Rebmann schnell weitergehen, als ein kurz gewachsener Mann in dunkel brüniertem Harnisch an die Bauern-Gewaltigen herantrat. Er atmete heftig, als sei er schnell gelaufen. »Fürwahr, Jäcklein«, fuhr er mit zornbebender Stimme den Älteren der Hauptleute an, »das war das Dümmste, was Ihr hättet tun können. Diese Tat wird Folgen haben – schreckliche Folgen, deren Ausmaße ich mir lieber nicht ausmalen möchte!«
Jäcklein Rohrbach schob das Kinn vor. »Was Ihr da faselt«, erwiderte er geringschätzig, »das kann nur aus dem Mund eines Feiglings kommen. Dabei habt Ihr doch selbst erlebt, wie leicht es war, Weinsberg einzunehmen! Keine drei Stunden haben wir gebraucht, um die armseligen Memmen zu überwinden, die dem Helfensteiner zur Seite stehen sollten. Und da glaubt Ihr im Ernst, wir hätten Folgen zu fürchten?«
Das Wort »Folgen« hatte er wie eine Fischgräte oder einen Kirschkern ausgespuckt. Der Mann im brünierten Harnisch machte ein bitterböses Gesicht. »Jäcklein«, erwiderte er hart, »ich hatte Euch für einen Mann von Verstand gehalten. Und nun stellt sich heraus, dass ich mich geirrt habe. Ihr seid ... Ihr seid ...«
»Was wollt Ihr denn damit andeuten?«, fuhr ihm Jäcklein Rohrbach aufgebracht in die Rede.
»Nichts anderes, als dass Ihr Eure Handlungsweise unmöglich bedacht haben könnt«, sagte der Mann im dunklen Harnisch in ruhigerem Ton. »Könnt Ihr überhaupt ermessen, wer von nun an zu unseren erbittertsten Feinden gehören wird?«
Jäcklein Rohrbach schnaufte verächtlich. »Als ob mich das kümmerte«, gab er mit einem überheblichen Grinsen zurück. »Die Evangelische Brüderschaft zählt in die Tausende. Gleich, wer sich uns entgegenstellt – wir sind in der Überzahl. Unddass wir uns zu schlagen wissen, das haben wir heute bewiesen. Oder etwa nicht?«
»Nach dieser Schreckenstat werden wir es in Zukunft mit ausgebildeten Lanzknechten und mit den Herren vom Schwäbischen Bund zu tun haben«, sagte der Geharnischte trocken. »Nicht einer der getöteten Edelleute wird ungerächt bleiben – darauf leiste ich einen heiligen Eid. Ihre Verwandten werden –«
»Armer Ritter«, unterbrach ihn der andere Hauptmann mit einem hämischen Lachen, »Ihr habt wohl auch einen Verwandten unter den Schelmen, die hier ausliegen – und wollt nun schleunigst die Gelegenheit nutzen, um die Evangelische Brüderschaft zu verlassen?«
Der Mann im dunklen Harnisch reckte sich. Sein Antlitz
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