Blutiger Frühling
...«
Dazwischen krachte, geschwungen von vielen arbeitsgewohnten Fäusten, immer wieder der schwere Balken gegen das Tor der Kommende. Und plötzlich toste wildes Jubelgeschrei auf – Bohlen zerbarsten, Holzsplitter stoben durch die Luft.
»Jetzt sind sie drinnen«, kommentierte Balzer trocken. »Der Wein, den die Deutschherren im Keller lagern, wird sie sicher noch drei, vier Tage lang besoffen halten, die Evangelischen Brüder«, fügte er verächtlich hinzu.
F lorian Geyer kämpfte an der Seite des Bauernheeres gegen Fürsten und Geistlichkeit – unverständlicherweise, denn er war ja selbst einer vom Adel. Albrecht Wolf von Weißenstein hatte sich dem Geyer angeschlossen – so viel stand für Anna Elisabeth fest. Aber warum, das war ihr ebenfalls unverständlich. Denn auch Albrecht gehörte ja zu den Herren.
Sie hatte ihn noch immer nicht gefunden. Genau wie Balzer gesagt hatte, wusste niemand recht, wo sich die Truppe des Florian Geyer gerade aufhielt und welche Richtung sie nehmen würde. Seine Männer kämen und gingen wie eine Schar von Gespenstern – ohne viel Aufsehen zu machen, ohne Getöse, ohne Waffengeklirr. Und ihr schwarzer Wimpel flattere nur selten länger als einen Tag an ein und demselben Ort.
Der April war schon vorüber. Den größten Teil des Odenwaldes hatte der Helle Haufen durchzogen. Die Horden des Bauernheeres hatten ihre Spuren hinterlassen; überall am Zugweg der Evangelischen Bruderschaft, wie sich Jäcklein Rohrbachs und Georg Metzlers Truppen jetzt offiziell nannten, flammten wie Fackeln die Burgen und Klöster, auf deren Dächer nach dem Plündern der rote Hahn gesetzt worden war. Einige mindere adlige Herren hatten sich gezwungenermaßendem Bauernheer angeschlossen, um ihre festen Häuser vor der Brandschatzung zu retten. Unter ihnen befand sich auch ein Gottfried von Berlichingen, dessen eiserne rechte Hand, ein mechanisches Wunderwerk, berühmt war.
Balzer war Anna Elisabeth gefolgt. »Wie kann ich ein unbescholtenes Mädchen unter diesen Rüpeln allein lassen?«, hatte er als Begründung vorgebracht und sich seit Heilbronn immer in ihrer Nähe gehalten. Er wachte über ihre Sicherheit, ohne dass es ihr bewusst wurde, und sie wunderte sich manchmal, warum er darauf bestand. Aber sie fragte nicht weiter.
Hannes Rebmann hatte sie seit dem entsetzlichen Ostertag in Weinsberg nicht mehr gesehen, und sie hatte auch nicht nach ihm Ausschau gehalten. Vielleicht hatte er schon längst die hochgesteckten Ziele der Bauernschaft aus den Augen verloren wie all die anderen ständig betrunkenen, gröhlenden, Karten und Knöchel spielenden oder plündernden und Güter zusammenraffenden Rüpel, die ohne Sinn und Verstand die Tage totschlugen, wenn sie nicht gerade auf dem Marsch waren oder ein Kloster, eine Burg angriffen. Es stand zu vermuten.
Anna Elisabeth lebte wie in einem bluttriefenden Traum aus brennenden Gebäuden, schreienden, fliehenden Menschen, fluchenden Säufern und Prassern und grell herausgeputzten Trossweibern – einem Albtraum, aus dem es nur einen Ausweg gab: Sie musste Albrecht finden. Dann würde alles gut werden ...
Von Tag zu Tag wuchs ihre Sehnsucht. Dieses brennende Begehren war das einzige Gefühl, das noch in ihr war – der heiße Wunsch, Albrecht endlich wiederzusehen, in die Arme zu nehmen, zu küssen, zu spüren. Sonst empfand sie nur noch Gleichgültigkeit – selbst im Angesicht des lachenden Frühlings, der jetzt überall die Welt in ein Blütenmeer verzauberte.
Der Trosswagen, auf dem Anna Elisabeth saß und hinter dem Balzer ihr Pferd angebunden hatte, rumpelte durch die tiefen Fahrspuren einer Straße, die auf eine Stadt zulief. Ein Berg,gekrönt von einer mächtig befestigten Burg, überragte die Mauern dieser Stadt, und Balzer, der neben dem Wagen ging, sagte, es sei Würzburg.
Anna Elisabeth nickte gleichgültig.
»Der Profoss, mit dem ich eben gesprochen habe, sagte mir, ein Teil der Truppen sei schon hier«, fuhr Balzer fort. »Siehst du die Burg?« Er deutete mit dem Finger. »Die soll gestürmt werden. Sie gehört dem Erzbischof...«
Anna Elisabeth warf einen flüchtigen Blick in Richtung der Stadt und des Berges. »So«, sagte sie, ohne eigentlich zuzuhören.
»Im Augenblick wird sie belagert«, fuhr Balzer unbeirrt fort. »Nach allem, was der Profoss mir sagen konnte, war es der Geyer mit seinen Leuten, der die Belagerung vorgeschlagen hat.«
Anna Elisabeth wandte ihm den Kopf zu. Ihre Augen, die bis jetzt
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