Blutiger Frühling
übernahm er selbst.
Eine Unterhaltung war kaum möglich; dazu war der Lärm, den die anderen Gäste machten, viel zu groß. Aber Anna Elisabeth hatte auch gar nicht mehr die Kraft, noch mit dem sonderbaren Kerl zu reden, den der Zufall ihr über den Weg geschickt hatte. Sie war satt, todmüde und fühlte sich nach den Ereignissen dieses Tages innerlich völlig erschöpft. Das muntere Geplauder, mit dem Balzer sie aufzuheitern suchte, rieselte an ihren Ohren vorbei ... klang irgendwann wie fernes Wasserrauschen ...
Der Strohsack war frisch gefüllt. Balzer drückte ihn dennoch sorgfälltig zurecht, bevor er Anna Elisabeth darauf bettete. Vorsichtig, um sie nicht aufzuwecken, ließ er seine dicke Wolldecke auf sie niedersinken. »Schlaf schön, kleines Ännchen«, wisperte er so leise, dass sie es ganz bestimmt nicht mehr verstehen konnte, »der Balzer passt auf, dass dir nichts geschieht ...«
Anna Elisabeth erwachte in einem winzigen Zimmerchen, das außer einem mächtigen Strohsack keinerlei Möbel enthielt. Auf dem Strohsack, warm eingepackt in eine Wolldecke, lag sie selbst. Auf dem Fußboden aus dicken Eichenbohlen, mit dem Rücken an die Lehmwand gelehnt, saß der fremde Knecht namens Balthasar, der gestern ihr Pferd versorgt hatte.
Sie richtete sich auf und stellte fest, dass sie unter der Decke völlig angekleidet war. Der Mann war wach, hielt den Blick seiner braunen Augen auf sie gerichtet und fragte: »Ausgeschlafen?«
Sie sah sich verwirrt um. »Wie komme ich hierher ... ?«
Er ging nicht auf ihre Frage ein. »Die Bauern haben diese Nacht so viel Lärm gemacht, dass ich schon dachte, du könntest keinen Schlaf finden«, sagte er mit müdem Lächeln.
»Lärm? Davon habe ich nichts gehört.«
»Umso besser.«
Anna Elisabeth schwang die Beine aus dem Bett und stand auf. »Wie auch immer«, sagte sie, indem sie sich den Schlaf aus den Augen rieb, »ich muss weiter. Wo finde ich mein Pferd?«
Balzer erhob sich ebenfalls. Als er stand und seine Beine streckte, machte er ein schmerzliches Gesicht. »Ich bringe dich hin«, sagte er. »Wo liegt denn dein Ziel?«
»Ich suche Florian Geyer«, erwiderte Anna Elisabeth nüchtern, »und ich habe keine Zeit zu verlieren. Halte mich also nicht länger auf.«
»Du bist ein wunderliches Mädchen«, murmelte Balzer. »Den schwarzen Geyer suchst du? Der wird dich kaum empfangen ...«
»Du wolltest mich doch zu meinem Pferd führen«, sagte Anna Elisabeth, »also komm.«
Balzer versuchte seine Enttäuschung über Anna Elisabeths abweisendes Verhalten zu überspielen. »Außerdem ist die Schwarze Schar bestimmt schon weitergezogen«, sagte er.
»Das ... das glaube ich nicht!« Anna Elisabeth stotterte beinahe, so erschrocken war sie über Balzers Vermutung.
»Der Geyer kommt und geht, wie es ihm gefällt«, bekräftigte Balzer seine Worte noch einmal. »Und was diese Nacht hier geschehen ist, wird nicht nach seinem Geschmack gewesen sein.«
»Woher willst du das wissen? Kennst du ihn etwa?«
»Es hat gebrannt«, erklärte Balzer ausweichend. »Wahrscheinlich brennt’s immer noch. Die Bauern haben mehrere Klöster ausgeraubt und angezündet.«
Anna Elisabeth schaute hinaus. Tatsächlich standen schwarze Rauchwolken in der stillen Luft über den Dächern. »So etwas gefällt wohl niemandem«, sagte sie und schüttelte den Kopf. »Wo kann ich erfahren, ob Herr Florian Geyer wirklich schon die Stadt verlassen hat?«
»Du bist ein wunderliches Mädchen«, wiederholte Balzernoch einmal. Dann nahm er sie bei der Hand und führte sie die schmale Stiege hinab, die von seiner Stallkammer in den Hof führte. »Ich find’s für dich heraus«, fügte er hinzu.
»Warum tust du das alles für mich?«, wollte Anna Elisabeth erstaunt wissen.
»Weiß nicht«, sagte Balzer. »Weil’s mir so gefällt ...«
Vor der Kommende der Deutschherren herrschte wüstes Gedränge. Anna Elisabeth, die mit Balzer auf der Suche nach der Geyer’schen Truppe hierher gekommen war, hörte ein dumpfes, rhythmisches Poltern. »Was kann das sein?«, fragte sie Balzer.
»Sie haben einen Rammbock hergebracht und brechen jetzt das Tor zur Kommende auf«, sagte Balzer gelassen. »Die anderen Klöster sind ja schon leer geraubt und abgefackelt.«
Vorn, im Rhythmus des donnernden Rammbocks, wurde gesungen; Anna Elisabeth konnte die Worte des Spottliedes deutlich verstehen:
»Essen, Trinken, Schlafengahn – Kleider aus und Kleider an –
ist die Arbeit ...
so die Deutschherrn han
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