Blutiger Halloween
Glenda schaute mir zu. Sie war nicht an der Wand stehengeblieben, sondern folgte mir.
Nachdem ich alle Türen überprüft hatte, blieb ich nahe der Treppe stehen und hob die Schultern, wobei ich in das kalkblasse Gesicht meiner Sekretärin blickte.
»Sollen wir noch woanders suchen?« fragte sie.
Dagegen hatte ich etwas. »Ich glaube, daß wir es uns sparen können. Es würde nur zu einer unnötigen Zeitverschwendung führen.«
»Richtig, John. Aber was hast du dann vor?«
»Wir können davon ausgehen, daß es nur noch fünf Schüler sind, die auf der Liste des Killers stehen, und diese fünf müssen wir warnen. Sie dürfen sich unter keinen Umständen voneinander entfernen, sonst würden sie dem Mörder nur in die Arme laufen.«
»Keine Polizei?«
»Nein, es käme zu einer Panik. Zudem könnte sich der Killer zurückziehen und seine Rache verschieben. Ich hoffe, daß die jungen Leute mitspielen.«
»Wenn ich irgendwie helfen kann, John…«
»Sicher, Glenda, kannst du mir helfen. Du mußt die übrigen mit im Auge behalten und mich unterstützen.«
»Unter Umständen könnte man auch mit der Lehrerin reden. Miß Graves schien mir einen sehr vernünftigen Eindruck zu machen, meine ich jedenfalls.«
»Die Idee ist nicht schlecht«, gab ich zu. »Das kannst du vielleicht übernehmen. Jetzt komm aber!«
So rasch wie möglich eilten wir die Stufen hinab. Die untere Etage des alten Schlosses war lärmerfüllt. Schreie hallten durch die langen Gänge. Fackeln brannten, wurden von Schülern gehalten, die sich schreckliche Masken über die Köpfe gestülpt hatten, und ein Wort war stets allgegenwärtig.
Halloween!
Für die Kinder und auch manche Erwachsene ein freudiges Fest. Für uns war es jetzt schon ein blutiger Halloween.
Draußen loderten die Feuer. Der Wind fuhr in die Flammen und fachte sie noch mehr an, so daß sie zu gewaltigen, lodernden Lanzen wurden, deren zuckendes Licht- und Schattenspiel den Himmel erreichen wollte. Kinder und Erwachsene amüsierten sich.
Ich hätte mich gern in den Trubel gestürzt und nicht einen unheimlichen Killer gesucht.
Hin und wieder warf ich Glenda einen Blick von der Seite zu. Sie hatte den Schock noch nicht verdaut. Ich sah es am Spiel ihrer Gesichtsmuskeln unter der Haut.
Der runde Stand hatte in der Zwischenzeit bereits zahlreiche Menschen angezogen. Sie umlagerten ihn und harten ihren Spaß. Zumeist tranken sie wegen der allmählich herbeikriechenden Kühle Glühwein. Die Leute scherzten und lachten.
»Wo sind die Schüler?« Glenda war stehengeblieben und reckte ihren Kopf. Entdecken konnte sie keinen, und mir erging es nicht anders. Von den Schülern sah ich nicht die geringste Spur.
Ich blieb stehen und preßte die Lippen zusammen. Ein verflucht unangenehmes Gefühl breitete sich in meinem Innern aus. Ein gewisser Verdacht bekam immer mehr Nahrung.
Einmal erwischte ich einen Blick auf Edward Blake. Auch er sah mich und winkte leutselig.
Meine Handbewegung machte ihm klar, daß ich momentan keine Unterhaltung wünschte.
Glenda hatte die Lehrerin entdeckt. Mit ihr im Schlepptau kam sie zu mir.
»Miß Graves kann uns vielleicht Auskünfte geben«, sagte sie und ignorierte die verwunderten Blicke der Frau.
»Worum geht es denn eigentlich?« fragte sie schließlich.
»Um Ihre fünf Schüler, die mit Ihnen zusammenstanden. Sie unterrichten doch in der Klasse - oder?«
»Natürlich.«
»Ich hätte von Ihnen gern gewußt, wo sie sind.«
Miß Graves lächelte. »Das kann ich Ihnen nicht sagen, Mister. Die fünf sind ja schließlich keine kleinen Kinder mehr. Und ich sehe mich auch nicht als ihre Aufsichtsperson an.«
Mein Verdacht war zur Gewißheit geworden. Ich konnte nicht vermeiden, daß ich blaß wurde. »Haben Sie etwas, Mister?«
»Ja, ich brauche die fünf.«
»Aber weswegen? Was haben Sie mit den jungen Leuten zu tun? Das verstehe ich nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Wer sind Sie überhaupt?«
»Mein Name ist John Sinclair. Ich komme aus London Ebenso wie meine Begleiterin, Miß Perkins.«
»Sind Verwandte von Ihnen hier?«
»Nein, Miß Graves. Ich möchte nur wissen, wo die fünf sind.«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Sie waren kaum weg, da verließen auch die Schüler den Stand.«
»Haben sie nichts angedeutet?« Die Lehrerin schüttelte den Kopf.
Das sah verflixt schlecht aus. Wenn sie zusammenblieben, hatten sie vielleicht eine gute Chance. Trennten sie sich, war es leicht, dem Killer in die Arme zu laufen.
Wo sollten wir
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