Blutiger Klee: Roman (German Edition)
einmal kurz die Hände zusammen. »Das war’s auch schon, Herr Holzinger.
Vielen Dank für das Gespräch und Ihr Interesse an unserer Arbeit. Wenn wir Fragen
haben, dann wissen wir ja jetzt, wo und wie wir Sie erreichen können.«
Sie erhoben
sich alle drei, Holzinger wirkte so erleichtert, dass Leo grinsen musste. Sie schüttelten
einander die Hände, Holzinger wollte sie noch nach unten bringen, aber zum Glück
lehnte der Chef sehr höflich und entschieden ab. Gegen Holzinger gepresst im Fahrstuhl
zu stehen, das war mehr, als Leo jetzt hätte ertragen können. Sie fuhren nach unten,
Pestallozzi starrte schweigend auf die Wand der Kabine. Dann gingen sie nach draußen,
die jungen Frauen hinter dem Schalter riefen ihnen einen Abschiedsgruß nach. Endlich
standen sie wieder in der Sonne, die Terrasse vom ›Kaiserpark‹ hatte sich geleert,
einladend standen die weiß gedeckten Tische unter der grün-weißen Markise.
»Und jetzt
für jeden von uns ein Paar Würstel und ein kühles Bier. Na, was hältst du davon?«,
fragte Pestallozzi. Leo hätte den Chef küssen können.
*
Endlich bog der Bus auf den großen
Parkplatz am Ortsende ein. Anna stand auf und angelte nach ihrer Reisetasche, den
Frauen in der Bank hinter ihr gönnte sie keinen Blick. Die hatten ununterbrochen
gequasselt und sich in schauerlichsten Vermutungen über den Tod vom ›Herrn Baron‹
ergangen, sie hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten. Aber das hatte sie dann
doch schön bleiben lassen, denn das wäre bestimmt aufgefallen. Und Auffallen war
das Allerletzte, was sie jetzt brauchen konnte. Hoffentlich kamen ihr auf dem Weg
zum Haus von der Tante Kathi keine Bekannten entgegen, das würde sie jetzt einfach
nicht ertragen. Sie stieg aus, hinter zwei Burschen, die ihre Baseballkappen verkehrt
herum aufgesetzt hatten, in London oder Berlin trug man das bestimmt nicht mehr
so. Aber Modetrends kamen eben immer mit mindestens einem Lichtjahr Verspätung am
See an, Internet hin oder her.
Sie umrundete
vorsichtig den Bus und spähte die Straße in den Ort hinunter, dann ging sie erst
zögernd, dann immer schneller an den Zäunen vorbei, die die Anwesen bewachten. Die
Tante Kathi hatte keinen Zaun vor dem Haus, sondern nur ein paar Büsche, die den
Staub der Straße von den Kletterrosen und dem Lavendel abhalten sollten. Das eigentliche
Bauerngartl befand sich hinter dem Haus, dort zog die Tante Kathi Erdäpfel und Zucchini,
Rosmarin und Salbei und Thymian. Den Thymian hatte Anna in ihrer Kindheit immer
als Tee gegen ihren hartnäckigen Husten trinken müssen, das war vielleicht ein Drama
gewesen! Anna merkte, dass sich ihre Mundwinkel um Haaresbreite anhoben. So ging
es ihr immer, wenn sie zu ihrer Tante kam, mit Husten oder Liebeskummer oder Weltschmerz,
was ja oft dasselbe war. Eine Biegung noch, dann würde das kleine Haus auftauchen,
ein ›Bauernsachl‹, wie die Immobilienhändler aus der Stadt solche alten Anwesen
nannten. In regelmäßigen Abständen sahen Männer in schicken Klamotten bei der Tante
Kathi vorbei und schmückten ihr in leuchtenden Farben ein Leben in der ›Seniorenresidenz‹
aus, ›Altersheim‹ sagte ja kein Mensch mehr. Reiche Deutsche wären bereit, geradezu
Fantasiepreise für das kleine, nun ja, doch etwas renovierungsbedürftige Häuschen
zu bezahlen, ›aber nicht zu lange zuwarten, Frau Luggauer, Sie wissen ja, die Weltwirtschaftslage
schaut nicht allzu rosig aus!‹ Am Anfang hatte die Tante Kathi, gastfreundlich wie
sie war, die Herren Makler noch ins Haus gebeten und ihnen sogar Kaffee und Schmalzringe
serviert. Aber mit der Zeit hatte sie dazugelernt, jetzt kam ihr keiner mehr über
die Schwelle, nur die pompösen Visitenkarten nahm sie jedes Mal entgegen, um sich
lange Diskussionen zu ersparen. ›Jaja, ich überleg’s mir und ruf zurück.‹ Anschließend
wurden die Visitenkarten im Küchenherd verbrannt.
Anna bog
um die Ecke und bremste jäh ab. Vor dem Haus stand ein Paar, der junge Mann hielt
das armlange Objektiv seiner Kamera auf die Haustür von der Tante Kathi gerichtet
und klickte wie wild, die Frau, die um einiges älter war, kritzelte in ein College-Heft.
Anna wäre am liebsten auf die beiden losgestürmt und hätte sie angespuckt, diese
Schmeißfliegen. Oder sich umdrehen und davonlaufen, einfach weg von dem ganzen Schlamassel
und dem Schrecken, und ein Last-Minute-Angebot nach Ibiza buchen, dort hatte sie
noch immer Freunde. Aber natürlich gab es noch eine dritte Möglichkeit, die
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