Blutiger Klee: Roman (German Edition)
die Finger
der alten Frau zurückzukehren. Was glaubst du, wer das getan hat? Diese Frage brannte
Anna auf der Zunge, aber sie wagte es nicht, sie auszusprechen. Sie hatte plötzlich
das Gefühl, als ob dann die Geborgenheit dieser Stube, ihrer Kinderstube, für immer
beschmutzt wäre.
*
Sie hatten Würstel mit Kren und
Senf gegessen und ein kleines Bier dazu getrunken. Man hatte sie mit größter Höflichkeit
bedient, natürlich wusste jeder im Lokal, wer sie waren und weshalb sie hier waren.
Immer wieder hatte ein neugieriges Gesicht zu ihnen herübergespäht, der Oberkellner
und schließlich sogar der Hotelchef waren an ihrem Tisch erschienen und hatten nachgefragt,
ob auch alles zu ihrer Zufriedenheit sei. Pestallozzi hatte sich freundlich bedankt
und die Rechnung für sie beide beglichen. Nun standen sie auf, und Leo wollte schon
über die Stufen der Terrasse hinab, aber der Chef hielt ihn mit einer Kopfbewegung
zurück.
»Hier in
der Küche hat doch die Kathi Luggauer ausgeholfen. Schauen wir einmal kurz hinein.«
Leo nickte
ergeben, der Chef hatte eben manchmal so komische Eingebungen. Sie gingen durch
den langen Gang, vorbei an der Rezeption und den Toiletten bis zu einer breiten
Schwingtür im hinteren Teil vom ›Kaiserpark‹. Kellner blickten ihnen neugierig nach,
aber keiner wagte sie anzusprechen oder aufzuhalten. Pestallozzi trat durch die
Tür, und Leo folgte ihm. Die Hitze schlug ihnen entgegen wie eine Wand, obwohl alle
Fenster gekippt waren und ein riesiger Ventilator an der Decke kreiste. Zwei Frauen
mit weißen Schürzen beluden gerade einen Geschirrspüler, ein Lehrling schleppte
Stapel von schmutzigen Tellern heran. Auf einem Tisch in der Mitte wurde gerade
ein blutiger Klumpen Fleisch zerteilt, der wie eine riesige Leber aussah, Leo musste
heftig schlucken. Geröstete Leber mit Zwiebeln und Majoran hatte er schon als Kind
gehasst, aber seine Mutter hatte ihn immer wieder damit gepestet. Damit du groß
und stark wirst, so ein Schwachsinn! Leo suchte Zuflucht bei einem der gekippten
Fenster und holte tief Luft. Was für eine Blamage, wenn er hier mitten in der Küche
wegen ein bisschen Blut auf dem Hackbrett umkippen würde, zum Glück schien der Chef
nichts bemerkt zu haben. Der sah sich nur gelassen im Raum um, ein bulliger Mann
mit Kochmütze stand mit dem Rücken zu ihnen und schien gerade den Lehrling ordentlich
zusammenzustauchen.
»Ist das
der Chef?«, fragte Pestallozzi eine der beiden Frauen.
Die nickte
mit großen Augen. Endlich bemerkte sie der Mann mit der Kochmütze, er kam mit energischen
Schritten auf sie zu. »Tut mir leid, aber Gästen ist der Zutritt zur Küche nicht
gestattet!«
»Chefinspektor
Pestallozzi und das ist mein Kollege Leo Attwenger«, sagte der Chef so freundlich
wie immer.
Im Raum
wurde es still, nur der Geschirrspüler rumpelte. Das Gesicht des Mannes mit der
Kochmütze war heiß und rot in der Hitze, er hielt einen Moment lang inne, dann wurde
er höflich und professionell.
»Tut mir
leid, das konnte ich nicht wissen. Kann ich Ihnen irgendwie weiterhelfen? Ich bin
Edi Schmutz, der Chefkoch.«
Blöder Name,
dachte Leo, damit hast du es bestimmt nicht leicht, Edi Schmutz.
»Wir wollten
uns nur kurz umsehen«, antwortete Pestallozzi und nickte der Belegschaft zu. »Hier
arbeitet doch normalerweise die Frau Luggauer, nicht wahr?«
Edi Schmutz
nickte. »Ja, aber heute ist sie natürlich nicht gekommen.«
»Natürlich.«
Pestallozzi lächelte wieder. »Das war es auch schon. Entschuldigen Sie die Störung.«
Er machte
eine kleine Verbeugung in Richtung der beiden Frauen, die ihn verblüfft anstarrten,
dann ging er durch die Schwingtür nach draußen, Leo folgte ihm erleichtert. Sie
verließen das ›Kaiserpark‹, Leo hatte ein Gefühl, als ob sein Rücken ganz durchlöchert
wäre von Blicken. Endlich standen sie wieder draußen in der Sonne.
»Komischer
Ort, so eine Küche«, sagte Leo vorsichtig.
»Mit vielen
Messern«, sagte Pestallozzi.
Leo starrte
ihn so verblüfft an wie die beiden Frauen vorhin. Hatte er irgend etwas übersehen?
Was meinte der Chef, hatte der vielleicht diese alte Kathi im Verdacht, dass die
ein Messer aus der Küche genommen und …
»War nur
ein Scherz«, sagte Pestallozzi. »Und ein schlechter dazu. Aber jetzt möchte ich
wirklich nachschauen, wie es der Frau Luggauer geht. Die übrigens ganz bestimmt
kein Messer entwendet und dem Gleinegg reingerammt hat.«
Leo dackelte
hinter dem Chef her. Der konnte also
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