Blutiger Klee: Roman (German Edition)
einzig
anständige. Sie holte tief Luft und nahm die Schultern zurück, dann ging sie möglichst
gelassen auf den Fotografen und die Journalistin zu. »Was tun Sie hier?«, fragte
sie, Anna merkte selbst, wie zittrig und aufgebracht ihre Stimme klang.
Die beiden
drehten sich zu ihr um, einen Moment lang verblüfft und verunsichert, dann ganz
offensichtlich begeistert. Der junge Mann stellte sein Objektiv auf Anna ein, die
Frau lächelte gewinnend. »Wir sind vom Wochenmagazin und machen eine Reportage.«
Sie machte
eine ausladende Handbewegung: »Wie gehen die Bewohner dieses Ortes mit dem Schock
um, welche Hintergründe haben zu dieser Tat geführt, was sagen die Betroffenen?
Es soll eine absolut seriöse Darstellung werden. Natürlich würden wir ganz besonderen
Wert auf die Eindrücke von Frau Luggauer legen, die das Opfer ja gefunden hat. Leider
war sie bisher noch nicht bereit, mit uns zu sprechen. Sind Sie vielleicht eine
Angehörige? Meinen Sie, dass es möglich wäre, Frau Luggauer einen ganz kurzen Besuch
abzustatten? Ich garantiere Ihnen, dass wir …«
»Hauen Sie
ab«, krächzte Anna, sie zitterte jetzt wirklich am ganzen Körper. »Verschwinden
Sie und lassen Sie meine Tante in Ruhe! Oder ich rufe die Polizei!«
Der Fotograf
klickte auf ihr wütendes Gesicht, sie hielt abwehrend den abgewinkelten Unterarm
vor das Objektiv, am liebsten hätte sie ihm das monströse Ding aus der Hand geschlagen.
Die Frau lächelte nicht mehr. »Diese aggressive Reaktion finde ich absolut übertrieben.
Ich wollte Ihnen nur ein paar Fragen stellen. Die Öffentlichkeit hat ein Recht auf
Information, ganz besonders in diesem Fall, in dem es höchstwahrscheinlich sogar
politische Hintergründe gibt.«
Anna ließ
sie einfach stehen und ging auf die Büsche zu, dabei rammte sie ihre Reisetasche
dem Fotografen gegen das Schienbein, der grinste bloß, wahrscheinlich waren ihm
solche Szenen nichts Neues. Sie wollte gerade ihren Schlüssel aus der Tasche holen,
verdammt, wo steckte der bloß wieder, sie musste endlich einmal das Durcheinander
aus Taschentüchern und Lippenpflegestiften und sauren Drops aufräumen, da öffnete
sich die Tür einen Spalt breit.
»Komm g’schwind
herein«, sagte ihre Tante und zog sie am Ärmel, dann fiel die Tür hinter ihr ins
Schloss. Anna stand da und hätte am liebsten geheult, sie hätte sich dafür ohrfeigen
können. Da war sie extra gekommen, um die Tante Kathi zu trösten und ihr beizustehen,
und jetzt ließ sie sich in die Arme nehmen und tätscheln wie ein kleines Kind. Endlich
löste sie sich aus der Umarmung. Ihre Tante stand da, klein und kompakt und so unerschütterlich
wie immer. Anna deutete mit dem Kopf nach draußen. »Sind die schon lange da?«
Die Tante
Kathi schüttelte den Kopf. »Ich schau schon gar nicht mehr raus. Ständig klingelt
irgendwer, am Anfang hab ich noch die Tür aufgemacht, aber jetzt hab ich alle Vorhänge
zugezogen und einen Polster auf das Telefon gelegt. Zum Glück hab ich ja gewusst,
mit welchem Bus du kommst. Und zum Essen hab ich auch genug im Haus.«
Anna musste
lachen, endlich. Die Vorratskammer von der Tanti Kathi reichte aus, um einen Atomkrieg
zu überstehen, falls man das überhaupt wollte. Jedes Restl wurde von ihr noch verwertet,
und im Keller standen die Marmeladen und Kompotte, fein säuberlich beschriftet.
Sie fühlte sich plötzlich unendlich müde und geborgen zugleich. So war das immer
gewesen, wenn sie zu ihrer Tante kam, schon als Kind, wenn ihre Mutter wieder einmal
mit einem neuen Freund ein neues Leben begonnen hatte. Die Tante Kathi war dann
für sie da gewesen, hatte sie bekocht und getröstet, nie viele Worte gemacht, aber
ihr Apfelkompott war gegen Bauchschmerzen und Schnupfen hilfreicher gewesen als
jede Medizin. Anna legte den Arm um die kleine Frau, und gemeinsam gingen sie in
die Stube. Auf dem Tisch in der Fensterecke zum Garten war schon fürs Mittagessen
gedeckt, mit den tiefen Suppentellern und dem Fliegenpilz aus Porzellan, der in
Wirklichkeit ein Salzstreuer war.
»Jetzt setz
dich einmal nieder und ruh dich aus«, sagte die Tante Kathi. »Ich bin gleich wieder
bei dir.«
Sie goss
ein Glas mit Apfelsaft voll und stellte es vor Anna hin und sah der Nichte zu, wie
die es mit tiefen Schlucken leer trank. Dann ging sie in die Küche hinaus. Anna
blieb zurück und lauschte dem Klappern von Topfdeckeln, der Duft von Rosmarin schlängelte
sich zur Tür herein. Als Kind war ihr die Stube immer wie die Höhle aus einem
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