Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
heute Abend absagen, Fabian. Leander ist krank.«
Ein kurzes Zögern. »Macht nichts«, hörte sie. »Ich bin sowieso noch bei der Arbeit.«
»Also, dann bis nächste Woche. Ich rufe dich wieder an.« Sie legte auf und wunderte sich. Heute Morgen dieses seltsame Verhör im Café. Und jetzt konnte er sich selbst am Samstagabend nicht von seinem Polizistenjob loseisen.
Fabian hatte Leonies Anruf auf dem Klinikparkplatz entgegengenommen. Er schloss gerade sein Auto auf, als sein Handy erneut klingelte.
»Ja«, sagte er, öffnete die Tür und schob sich hinters Lenkrad.
»Irina hier«, wisperte die Stimme. »Ich wollte ja nicht anrufen, aber ich glaube, ich kann nicht anders. Hier ist alles in Auflösung. Die Mädchen … Bitte komm sofort!«
Das »Fallen Angel« – es war nicht weit vom Stuttgarter Norden bis nach Bad Cannstatt. Bevor er darüber nachdenken konnte, lenkte er den Saab über den Pragsattel auf die B 10. Adrenalin schoss durch seine Adern, und er drückte so heftig aufs Gas, wie der Verkehr es zuließ. Tief in seiner Seele war er froh, etwas für das Mädchen tun zu können, das sich gestern Abend in Luft aufgelöst hatte. Kurz dachte er daran, dass der Anruf eine Falle gewesen sein könnte und die Hure ihn auflaufen lassen würde. Nein, Irina hatte die Angst in den Knochen gesessen, Todesangst und nicht nur um sich selbst.
Er fluchte, als es nur noch im Schritttempo voranging. Der Tunnel war ein verdammtes Nadelöhr! Fabian hörte sein Blut in den Ohren rauschen. Sein Herzschlag wurde zum schnellen Staccato, und er fuhr seinem Vordermann so nah aufs Heck, dass der seinen Mittelfinger in Richtung Rückspiegel hob. Er bremste ab und bog zehn Minuten später auf den Parkplatz der Autovermietung ein, hinter der sich das »Fallen Angel« befand.
Statt Mischa stand Irina in der offenen Tür und wartete auf ihn. Von ihrer gestrigen Aufmachung war nichts mehr übrig. Heute trug sie Jeans, Chucks und ein blaues T-Shirt. Ihre Wimperntusche war verwischt und lag wie ein schwerer, schwarzer Schatten unter ihren Augen.
»Gut, dass du kommst!« Sie führte ihn in die Bar, die wie ausgestorben dalag. Eine blonde junge Frau saß an einem Tisch und nippte an einem Glas mit einer goldbraunen Flüssigkeit. Die Discokugel hing blind und unbeweglich an der Decke. Im Licht des Sommerabends, das durch die hochliegenden Fenster schräg in den Raum fiel, tanzte der Staub. Auf der Theke hatte sich eine blauschwarze Schmeißfliege in einer klebrigen Lache verfangen.
Irina zog ihn an den Tisch zu der jungen Frau, deren Blick leer vom Alkohol war, und legte ihr den Arm um die Schultern. »Das ist Polina. Sie spricht kein Deutsch.« Fabian schob einen Stuhl für Irina an die Seite und setzte sich. »Was ist passiert?«
»Sie sind alle fort, die Barfrau, Mischa, Blankert, die anderen Mädchen. Einfach verschwunden.«
Polina hatte die Whiskyflasche auf dem Tisch schon halb geleert. Ungeniert bediente sich Irina und schenkte auch ihrer Kollegin reichlich nach.
»Du auch?«, fragte sie.
Fabian winkte ab und schob die gefüllten Gläser von ihnen weg. »Trinkt lieber nicht so viel! Dann könnt ihr besser denken. Was ist hier passiert?«
Irina schaute auf. »Hast du es noch nicht gehört? Sie haben zwei Kuriere getötet. Zwei Russen. Kostja und Jegor. Man hat heute Mittag ihre Leichen gefunden.«
Fabians Mund wurde trocken. »Wo war das?«, fragte er.
Irina atmete tief durch. »Kostja lag im Gebüsch hinter der Raststätte Sindelfinger Wald, Jegor auf einem Parkplatz an der Autobahn.«
Als sie die Namen hörte, begann das fremde Mädchen, laut zu weinen und griff nach dem Glas, das noch immer an der Tischkante stand. Irina redete beschwichtigend auf sie ein und nahm es ihr aus der Hand. Danach trug Fabian beide Gläser zur Theke und goss ihren Inhalt in den Ausguss. Ein Mädchen mit Alkoholvergiftung war mehr, als er jetzt verkraften konnte. »Und warum?«, fragte er und setzte sich wieder.
»Sie waren auf der Fahrt nach Russland, um Nachschub zu holen. Polina haben sie beim vorletzten Mal mitgebracht.«
Die junge Frau schluchzte und legte ihr Gesicht auf die gefalteten Arme, als wollte sie der Welt nicht mehr ins Auge schauen.
»War die Polizei schon hier?«
Irina schüttelte den Kopf. »Irgendwann werden die Bullen sicher aufkreuzen, aber noch haben sie den Zusammenhang nicht erkannt.«
Fabians Mund wurde trocken. Über diese Informationen verfügte weder die Stuttgarter noch die Böblinger Polizei, die für den
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