Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
den Boden fallen. Dann wandte sich Alberto seinem anderen Neffen zu. » Benissimo. Aber jetzt bleib!«
Als die drei Männer die Küche verlassen hatten, wurde es totenstill. Zum ersten Mal seit langer Zeit gestattete sich Alessio den Gedanken an Blue. Eigentlich war es um Blankert nicht schade, der den alten Säcken Sex mit Kindern ermöglicht hatte. Trotzdem lag ihm sein Herz wie ein Stein in der Brust. Er dachte an Kalabrien, an das Dorf, in dessen Nähe das Weingut seines Onkels lag. Hier wusste jeder, was gespielt wurde, vom kleinsten Kind bis hin zum Greis waren alle nichts als Rädchen im Getriebe. Er dachte an den Geruch von Mottenkugeln in der Strickjacke seiner Tante, den Haarknoten in ihrem Nacken und ihre unbarmherzigen Augen. Laura und er waren dort Außenseiter gewesen. Jetzt würde er ihre Missbilligung allein ertragen müssen. Er dachte an die Müllcontainer, in die jemand Löcher geschossen hatte, an das Madonnenbild in der Kirche, vor dem immer Blumen standen. Wie von selbst stahl sich sein Finger in den Blutfleck auf dem Tisch. Er war schon fast eingetrocknet und ließ sich schlecht vermalen, aber er kriegte trotzdem ein windschiefes Herz auf der Wachstuchdecke hin. Zuletzt blieb ihm nur das Blut an seinen Händen.
Fabians Handy klingelte, während er den Saab aus der Tiefgarage der Polizei auf die Agnespromenade fuhr. Als er Leonies Namen erkannte, war er zunächst versucht, den Anruf wegzuklicken. Dann aber siegte seine Neugier über seinen Stolz.
»Ja«, sagte er unwirsch und fühlte beinahe eine Art Genugtuung, als er das schlechte Gewissen in ihrer Stimme hörte.
»Fabian«, sagte sie gequält. »Es tut mir leid! Ich wollte kein doppeltes Spiel mit dir spielen. Das Leben hat mich einfach überrollt.«
»Du kannst dich treffen, mit wem du willst.«
Leonie machte eine kurze Pause, in der sie nach der richtigen Formulierung suchte. »Ich mag dich«, sagte sie dann schnell. »Aber eigentlich rufe ich nicht deswegen an, sondern wegen Alessio.«
Fabian schluckte trocken. Er musste ihre unbefangene Sympathieerklärung erst einmal verdauen. Die zweite Information ging da beinahe unter.
»Ja«, sagte er heiser.
»Ich recherchiere seit zwei Stunden über die Mafia.«
Er atmete tief durch. »Du solltest dich doch nicht in Gefahr begeben.«
»Ganz risikolos im Internet«, wiegelte sie ab. »Mein Bruder hat gerade schweren Liebeskummer und ist ziemlich durch den Wind. Und da ist mir das Gespräch mit Laura wieder eingefallen. Sie hat doch gesagt, dass Jungen von fünfzehn Jahren in der Welt ihres Mannes erwachsen seien.«
»Ja«, gab er zurück, noch immer komplett durcheinander.
»Ich bin auf die Initiationsriten der Mafiaclans gestoßen. Oft werden die Söhne der Capos, die eigentlich durch Geburtsrecht dazugehören, im Alter von fünfzehn Jahren offiziell aufgenommen. Ein religiös inspiriertes Ritual, bei dem ein Heiligenbild verbrannt und ein Eid geschworen wird. Es ist wie eine Neugeburt. Wir haben uns doch so gewundert, dass Laura ihren Sohn aufgegeben hat. Wenn Giorgio der Führungsriege der ’Ndrangheta angehört hätte, würde das alles erklären.«
Fabian kurbelte das Fenster hinunter und ließ den Wind herein. Doch der Tornado in seinem Inneren tobte weiter. Sie mochte ihn.
»Leonie«, sagte er leise und spürte, wie ihm die Silben ihres Namens auf der Zunge zergingen. »Ich freue mich über das, was du eben gesagt hast. Nicht das mit Alessio, sondern das davor.«
Sie schickte ein leises, sehr unsicheres Lachen durch den Äther. »Das hat mich echt Überwindung gekostet.«
»Du kannst meinetwegen sogar was mit diesem Gianluca haben.«
»Das meinst du nicht ehrlich!«
»Nein, wahrscheinlich nicht. Aber ich kann nicht Alessio und mit ihm alle anderen Italiener in Esslingen unter Generalverdacht stellen.«
»Das verstehe ich. Aber es würde ein neues Licht auf so manches werfen.«
50.
Sehr sachte legte sie das Handy auf die Bettkante. Ihr Herz klopfte hoch bis in den Hals. Hatte sie ihm wirklich gerade gesagt, dass sie ihn mochte? Und was war mit Gianluca? Mit einem Schaudern erinnerte sie sich an die Dämonen, die manchmal in ihm erwachten, und spürte, dass sie dieser dunklen Seite nicht gewachsen war. Puh , dachte sie und wischte sich über die Stirn. Leander war seit einer halben Stunde von Opas Klassentreffen zurück und hangelte sich Schritt für Schritt an der Bettkante entlang.
»Mom«, sagte er noch immer ein bisschen heiser und strahlte sie voller Stolz an. Sie
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