Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
zog ihn auf den Schoß und drückte ihr Gesicht in seine dunklen Locken. »Du lieber und absolut wunderbarer Leander.« Er quietschte vergnügt, als sie ihn am Bauch kitzelte. »Ich bin ja so stolz auf dich.«
Der Gedanke an Alessio schlich sich in das Chaos ihrer Gefühle. Irgendwann hatte seine Mutter sicher auch ihm ins Ohr geflüstert, wie wunderbar sie ihn fand. Wie konnte man ein Kind aufgeben, einen Sohn, der noch dazu auf dem besten Weg war, sich in einen jugendlichen Gewalttäter zu verwandeln? Konnte man Liebe ausschalten, als würde man einen Schalter umlegen? Eben noch war sie sich sicher gewesen, den Grund für diese plötzliche Distanzierung gefunden zu haben. Laura hatte ihn verlassen, weil er als Teil des Clans neu geboren worden war. Oder stimmte das doch nicht? Hatte Fabian recht, der sich weigerte, sämtliche Italiener im Landkreis als potentielle Mafiosi zu betrachten? Natürlich war das kompletter Unsinn. Aber trotzdem … Es half nichts, sie musste Laura selbst fragen. Leonie kramte das Telefonbuch aus der Schublade ihres Schreibtisches und stellte fest, dass die Familie Cortese mit Adresse gelistet war. Perfekt. Sie zog Leander eine leichte Jacke und seine Schirmmütze an, packte Teddy und Schnuller ein und setzte ihn ins Auto.
»Ich fahre mal eben nach Mettingen«, rief sie in Richtung Küche, wo Emine mit den Töpfen klapperte.
»Bring Klopapier aus dem Supermarkt mit!«, rief diese und räumte in aller Ruhe weiter die Spülmaschine aus.
In Mettingen suchte Leonie eine Weile herum, bis sie den richtigen Wohnblock in der Wohnsiedlung nahe des Daimler-Werks gefunden hatte. Die Häuser wirkten wie ein modernistisches Kunstwerk aus Kuben und Würfeln. Aber schließlich hatte sie das Haus entdeckt, in dem sich das Drama der Familie Cortese abgespielt hatte. Der Name stand an dritter Stelle an der Klingel. Sie drückte den Knopf und wartete. Wartete weiter und drückte ein zweites Mal. Vergeblich. Ein schöner Reinfall! Leander begann zu strampeln. Sie stellte ihn auf den Boden, wo er sich an ihrem Bein festklammerte.
»Zu wem wellet Sie denn?«, rief jemand auf Schwäbisch. Als Leonie die Augen hob, schaute sie der alten Frau in die Augen, die sich am Samstag in der Innenstadt mit Laura getroffen hatte. Graue Pudeldauerwelle und schlaue Mäuseaugen. Als Beobachtungsposten diente ein professionell mit einem Kissen ausgepolstertes Fenster im ersten Stock.
»Sie sind des.« Sie musterte erst Leonie und dann Leander. »Het die Polizoi scho Nachwuchs?«
»Ich möchte zu Laura Cortese«, sagte Leonie leise und überging die Bemerkung.
»Die müsst eigentlich dahoim sein. Wartet Se, I mach Ihne uff.«
Eine halbe Minute später summte der Türdrücker, und Leonie stieg das sauber geputzte Treppenhaus bis in den dritten Stock hinauf. Ein schwacher Geruch nach Putzmittel lag in der Luft. Auch als sie direkt an Lauras Tür klingelte, öffnete niemand. Sie hörte ein lautes Rauschen, als ob sich Laura Cortese gerade Badewasser einließ. Dann komme ich eben später wieder , dachte sie, drehte sich um und erschrak, als sie bemerkte, dass sie in einer Pfütze stand. Ihre Turnschuhe waren schon ganz durchnässt. Unter der Wohnungstür der Corteses sickerte Wasser hervor, viel Wasser, das sich schon bis zur Treppe ausgebreitet hatte und die Stufen herabzurinnen begann. Hier stimmte etwas nicht. So schnell sie konnte, lief Leonie die Treppe hinunter und klingelte bei Frau Hegele Sturm, die mit ihren Pantoffeln zur Tür schlurfte.
»I komm ja schon. Wo brennt’s denn?«
Leonie holte tief Luft. »Da oben. Da läuft ganz viel Wasser unter der Tür hervor.«
»Wartet Se, I han den Schlüssel.« Frau Hegele griff nach dem Utensil, das auf ihrer Kommode lag, und lief ächzend die Treppe hinauf. Einen Moment später schoben sie die Wohnungstür auf. Wasser stand im Eingangsbereich, durchnässte den Teppich und kroch die Wände hoch.
»Du liebe Zoit«, sagte Frau Hegele. »Laura?«
Sie stürmte an Leonie vorbei ins Bad.
»Heilenssackel!«
Geschockt blieb sie an der Tür stehen und schlug die Hand vor den Mund. Mit unbarmherzigem Rauschen bahnte sich das Wasser über den Rand der Badewanne seinen Weg in den Raum, schwappte auf den Boden und bildete eine zentimetertiefe Lache. Laura Cortese lag vor der Badewanne, ihr Gesicht auf den linken Arm gebettet. Die dunklen Haare breiteten sich wie Wasserpflanzen auf dem nassen Untergrund aus. An der Stirn hatte sie eine blutende Platzwunde, als wäre sie auf den
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